Der Barrégriff

F. Doisy: Vollständige Anweisung für die Guitarre. 1802. S. 29.
F. Doisy: Vollständige Anweisung für die Guitarre. 1802. S. 29.

Der Barrégriff war die spieltechnische Alternative zum Daumengriff. Seine Ausführung erforderte viel Kraft und war für Amateure nicht leicht auszuführen. Jean-Baptiste Phillis empfahl ihn daher Anfängern nur mit Vorbehalt: "Unter Barré-Akkorden versteht man solche, bei denen der erste Finger der linken Hand ausgestreckt über die 6 oder 5, 3 oder zwei Saiten gelegt wird, die als beweglicher Sattel dienen, entweder auf dem 1. Bund oder auf einem anderen, den man für geeignet hält. Das Barré erfordert viel Übung, um es richtig zu machen; es ist gut, es zu vermeiden" (Phillis 1799, S. 12 übers.). 

Aus diesem Grund wurde die Barrétechnik in manchen Gitarrenschulen überhaupt nicht behandelt, was François Doisy beklagte: "Ein neuerer Schriftsteller erwähnet in seiner Lehrart, die Guitarre zu spielen, der Bedeckung gar nicht. Entweder hat er es vergessen zu thun, oder dieselbe als unnütz betrachtet. Das letztere ist unrichtig: Die Guitarre lässt sich ohne Bedeckung gar nicht spielen. Von ihr hängt vorzüglich die Leichtigkeit der Ausführung und die Reinigkeit der Töne in den Arpeggien ab. Ein anderes ist, wenn die Guitarre singt, dann wäre die Bedeckung freilich nachtheilig, weil die Muskeln, da die Hand gleichsam in Lüften schweben muss, vollkommen ungebunden seyn müssen, welches bei der Bedeckung äusserst schwer der Fall seyn kann" (Doisy 1802, S. 29f.). Doisy erkannte allerdings nur das große Barré als Barrégriff an. Das kleine Barré hielt er für überflüssig: "Das Sperren [Barrer] ist die Handlung des Zeigefingers allein, der alle fünf Saiten bedecken muss. Einige Leute haben zwischen dem Großen und dem Kleinen unterschieden, aber es gibt wirklich nur einen" (Doisy 1801, S. 31 übers.). Unter denjenigen, die zwischen dem großen und dem kleinen Barré unterschieden, waren Antoine Marcel Lemoine und Jean Baptiste Bédard (Lemoine 1807b, S. S. 3; Bédard 1807, S. 6).

Obwohl der Barrégriff viel Übung und Kraft in der linken Hand erforderte, blieb er ein unverzichtbarer Bestandteil der Gitarrentechnik, zunächst für die Akkordbegleitung, später auch für das begleitete Melodiespiel (vgl. Gatayes 1803, S. 11; Scheidler 1803, S. 6; Staehlin 1811, S. 8f; Molino 1813, S. 13; Carulli 1819, S. 8; Blum 1818, S. 11; Harder 1819, S. 45; Joly 1819, S. 20; Marescot 1825 I, S. 11; Carnaud 1826, S. 5; Häuser 1833, S. 7; Hamilton 1834, S. 4; Pelzer 1835, S. 17; Plouvier 1836, S. 29; Bornhardt 1840, S. 9; Nadaud 1841, S. 3; Parrini 1841, S. 5; Aubery du Boulley 1842, S. 7; Strawinski 1846, S. 12). 

J. M. G. y E.: Rudimentos para tocar la guitarra por música. 1819. S. 2.
J. M. G. y E.: Rudimentos para tocar la guitarra por música. 1819. S. 2.

Mit den gestiegenen Ansprüchen an die Gitarrenmusik in den 1810er Jahren wuchs auch die Forderung nach einer konsequenten Barrétechnik. Bei der Aufzählung der spieltechnischen Fähigkeiten, die für das "höhere Gitarrenspiel" erforderlich waren, nannte Johann Jakob Staehlin das Barré an erster Stelle: "Vorzüglich gehört dazu Kraft und Sicherheit bey dem Bedecken,|:barré:|" (Staehlin 1811, S. 31). Nur mit Hilfe des Barrégriffs, so Staehlin, sei es möglich, jedes Stück in jeder Tonart zu spielen und innerhalb eines Stückes komplizierte Tonartwechsel vorzunehmen: "Diese Beispiele beweisen hinlänglich dass keine Tonart von der Guitarre ausgeschlossen ist. Ebenso ersichtlich ist, dass wenn man einmal über den ersten Platz hinwegschreitet und keine leeren Saiten anwendbar sind, es ziemlich gleichgültig ist in welcher Tonart man spielt. Die bey Guitarre Begleitungen häufigsten Tonarten sind c, d, e, f, g, a seltener b Dur und d, e, g, a, seltener c, f, h moll. Indessen ist es nothwendig sich mit den übrigen Tonarten ebenfalls bekannt zu machen, denn es kann nicht fehlen dass Tonstücke stellenweise in eine oder die andere derselben ausweichen" (ebd. S. 27).

Aber nicht alle Amateurgitarristen waren ehrgeizig genug, um sich die Mühe zu machen, die Barrétechnik zu erlernen. Professionelle Gitarristen, die vom Verkauf ihrer Kompositionen lebten, kamen ihnen entgegen und schrieben für sie Stücke, die ohne Barrégriffe gespielt werden konnten. So schrieb Carulli in seiner Gitarrenschule: "Jedes Instrument hat seine bevorzugten Tonarten: Man kann auf der Gitarre in allen Tonarten spielen, aber diejenigen, die am besten zu ihr passen, sind: A-Dur und Moll, D-Dur und Moll, E-Dur und Moll, C, G, F. Die anderen sind schwierig. Daher habe ich die Tonleitern, Akkorde und Übungen und die folgenden Stücke in den gebräuchlichsten und leichtesten Tonarten für Anfänger notiert" (Carulli 1819, S. 10 übers.). Und Carcassi fügte hinzu: "Die anderen Tonarten sind beschwerlich wegen des häufig vorkommenden Barré (bedecken)" (Carcassi 1836, S. 19). 

Das kleine Barré. In: C. J. Pratten: Learning the Guitar simplified. 1891. No. 5.
Das kleine Barré. In: C. J. Pratten: Learning the Guitar simplified. 1891. No. 5.

In den 1820er Jahren wurde die Barrétechnik weiterentwickelt. Francesco Bathioli und Adolphe Ledhuy gaben in ihren Gitarrenschulen einen Überblick über die verschiedenen Barrégriffe und ihre Ausführung. Ledhuy unterschied zunächst begrifflich zwischen kleinem und großem Barré und stellte dann das "vorbereitende Barré" (barré préparatoirevor:

"Das KLEINE BARRÉ verwendet man, wenn man nur 3 oder 4 Noten in einem Bund bedecken muss und nach diesen Noten eine Saite hären lassen muss, die der bedeckende Finger stören würde, wenn er sie drückt.

Das GROSSE BARRÈ wird verwendet, wenn 5 oder 6 Noten unter dem ersten Finger gehalten werden müssen, um die Lage nicht zu verlassen oder um den Bässen einen Wert zu geben. Der erste Finger muss flach auf die Saiten gedrückt werden. Der Daumen sollte so unter dem zweiten Finger liegen, so dass sie sich berühren könnten, wenn der Hals nicht im Weg wäre.

Das VORBEREITENDE BARRÉ wird ausgeführt, indem man das erste Glied des ersten Fingers der linken Hand kräftig, aber seitlich drückt, wobei man darauf achtet, dass der Finger gerade und ein wenig erhöht gehalten wird, bereit, auf den Bund zu drücken. Wenn der Gesang zu den tiefen Saiten absteigt, senkt man den ersten Finger nach und nach ab, bis er das große BARRÉ einnimmt, um zu den Diskantsaiten aufzusteigen. Man hebt ihn auch an, wenn der Gesang zu den hohen Tönen aufsteigt, bis der Finger wieder die Position des vorbereitenden BARRÉS eingenommen hat" (Ledhuy 1828, S. 8 übers.).

Bathioli kannte neben dem kleinen und großen Quergriff noch den "gedrängten Griff" als Ergänzung zum kleinen Barrégriff: "Der gedrängte Griff hingegen, welchen nach der Regel nur die Finger 2, 3 und 4, niemals aber diese in Gesellschaft des Zeigfingers bilden, wird gebraucht, wenn auf jenen Bünden, welche nicht der Zeigfinger zu versehen hat, mehrere Saiten auf einem und demselben Bunde zu greifen kommen" (Bathioli 1825 Theil I/1, S. 33). Anstelle des gedrängten Griffs konnte auch der "Quergriff des kleinen Fingers" verwendet werden (ebd. S. 34).

Das große Barré. In: F. Sor: Méthode pour la Guitare. 1830. Figur 16.
Das große Barré. In: F. Sor: Méthode pour la Guitare. 1830. Figur 16.

Der Barrégriff stellte eine flexibel einsetzbare Alternative zum Daumengriff dar. Dennoch blieb der Daumengriff bis in die 1820er Jahre und darüber hinaus in Gebrauch. Nach D. Joly konnte jeder Gitarrist die für ihn passende Greiftechnik wählen: "Wer nicht genügend Kraft im Handgelenk hat, um das große Barré auszuführen, kann den Daumen benutzen" (Joly 1820, S. 20 übers.; vgl. Bruni 1834, S. 20). 

Die Spanier Dionisio Aguado und Fernando Sor waren in dieser Hinsicht weniger tolerant. Sie sagten dem Daumengriff den Kampf an. Für sie war der Barrégriff die einzige akzeptable Alternative zum Daumengriff. Sor schlug eine Haltung der Greifhand vor, die von der üblichen, auf den Daumengriff fixierten Haltung abwich: „Diese Erfahrung bestimmte mich zu der Regel, den Daumen in der Mitte der Breite des Halses aufzusetzen, dem Finger gegenüber, welcher dem zweiten Griff entspricht, ihn nicht zu verrücken, als um zu sperren, was ich leicht erreichen kann, wenn ich … den Daumen gegen den Rand A (fig: 16) zurückziehe und indem ich dem Zeigefinger die Richtung der geraden Linie AB gebe, nur die Stütze ihres Endpunkts B und die des Daumens im Auge habe“ (Sor 1831, S. 12f; vgl. S. 28). Ähnlich äußerte sich Matteo Carcassi: "Man erleichtert sich dieses Verfahren wenn man die Hand erhebt und den Daumen hinter den Hals zurückzieht" (Carcassi 1836, S. 14).

Dionisio Aguado hielt wie Doisy den kleinen Barrégriff für überflüssig. Seiner Meinung nach sollte immer der große Barrégriff verwendet werden, auch wenn nur zwei oder drei Saiten auf einem Bund zu greifen sind (vgl. Aguado 1826, S. 43; 1843, §§ 138.279). Im Gegensatz zu Sor erlaubte Aguado es, bei der Ausführung des Barrégriffs, den Gitarrenhals zwischen Daumen und Zeigefinger zu halten, "indem man den einen gegen den anderen entlang der Länge der beiden Finger anlehnt" (Aguado 1849, S. 11 übers.). Er bevorzugte jedoch die von Sor beschriebene Haltung, bei der nur die Daumenkuppe auf dem Hals aufliegt.

1 Der Kapodaster als Hilfsmittel

Statt Barrégriffe zu vermeiden, auf einfache Tonarten auszuweichen oder den Daumengriff zu verwenden, konnten Gitarristen auch den Kapodaster (ital. capotasto, frz. capo d'astroals Hilfsmittel verwenden. Mit Hilfe des Kapodasters war es möglich, die Tonhöhe der Gitarre bequem an eine Singstimme anzupassen, oder ein Stück, das in einer schwierigen Tonart geschrieben war, mit einem einfachen Fingersatz zu spielen.

L. von Call: Terzetto pour Violon, Alto & Guitarre avec Capo d'astro. Oeuvre 106. S. 1.
L. von Call: Terzetto pour Violon, Alto & Guitarre avec Capo d'astro. Oeuvre 106. S. 1.

Schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts verwendete Leonhard von Call den Kapodaster in einigen seiner Kammermusikwerke, zum Beispiel in seinem Terzetto pour Violon, Alto & Guitarre avec Capo d'astro op. 106 und in seinem Quatuor pour Violon, Alto, Guitarre et Violoncelle avec Capo d'Astro op. 118. In beiden Fällen ist der Kapodaster auf dem dritten Bund angebracht. So konnten die in B- und Es-Dur geschriebenen Stücke auf der Gitarre in G- und C-Dur gespielt werden. Auch Mauro Giuliani verwendete den Kapodaster in Duos für zwei Gitarren oder Gitarre und Flöte, wobei der Kapodaster die Terzgitarre ersetzte. So heißt es in seinen III Rondó per due Chitarre (1815): "Mit Kapodaster in der dritten Lage, oder besser mit einer Terzgitarre" (op. 66, S. 2 übers.; vgl. op. 126). Seinem Beispiel folgten Michele Giuliani (op. 8), Francesco Bathioli (op. 4) und Anton Diabelli (Orpheus, 12tes Heft). Theodor Gaude verwendete den Kapodaster auch in Serenaden für zwei Gitarren ein: Die erste Gitarre spielte ohne Kapodaster, die zweite mit Kapodaster im dritten Bund (opp. 50, 51). Joseph Küffner schließlich verwendete den Kapodaster in zahlreichen Kammermusikwerken im dritten Bund. 

Kapodastermodelle aus Holz und Metall. B. Henry: Méthode pour la Guitare. 1826. S. 107.
Kapodastermodelle aus Holz und Metall. B. Henry: Méthode pour la Guitare. 1826. S. 107.

Wie sah der Kapodaster zu Beginn des 19. Jahrhunderts aus? D. Joly stellte ein frühes Modell in seiner Gitarrenschule L'Art de Jouer de la Guitare (1819) vor. Er beschrieb den Kapodaster als ein "ein Instrument aus Stahl, das auf den Hals der Gitarre passt, dahinter verschraubt wird und die 6 Saiten verriegelt". Der bewegliche Sattel wurde auf den ersten drei Bünden angebracht: "Man gebraucht ihn jedoch nicht höher als bis zur dritten Lage, da sonst die Saiten zu sehr verkürzt würden und nicht genügend Schwingung erzeugen könnten" (S. 67 übers.). Bénigne Henry beschreibt den Metallkapodaster anhand einer Abbildung in seiner Nouvelle Méthode pour Guitare ou Lyre (1823): "Der Teil, der auf die Saiten drückt, ist gerade und der andere Teil gebogen. Diese beiden Teile sind durch ein Scharnier auf der einen Seite und eine Schraube auf der anderen Seite miteinander verbunden, die man nach Belieben festziehen kann" (S. 77 übers.). Auch Dionisio Aguado, der 1826 nach Paris kam, empfahl den metallenen Kapodaster, um den Fingersatz einer leichten Tonart beizubehalten, wenn ein Stück in einer schwierigeren Tonart gespielt werden muss. Er bevorzugte die Bezeichnung "beweglicher Sattel" (1826, S. 34 übers.).

In der dritten Auflage seiner Gitarrenschule stellte Henry fest, dass der aus "Messing" (Cuivrehergestellte Kapodaster nur noch "wenig in Gebrauch" war. Ab Mitte der 1820er Jahre wurden Kapodaster aus Holz bevorzugt, da sie einfacher zu handhaben waren als Schrauben-Kapodaster. Ein solches Holzmodell stellte Henry in seiner Méthode pour la Guitare (1826) vor"Die Gitarre hat, wie die meisten Instrumente, ihre bevorzugten Tonarten. Die einfachsten und gebräuchlichsten sind C-Dur, D-Dur und D-Moll, E-Dur und E-Moll, F-Dur, G-Dur, A-Dur und A-Moll. Die anderen Tonarten werden nicht oft verwendet, weil sie zu schwierig sind. Es gibt jedoch eine Möglichkeit, die Gitarre in die Lage zu versetzen, Musik mit drei oder vier Bes im Notenschlüssel zu spielen; zu diesem Zweck haben die Italiener eine kleine Maschine erfunden, die sie Capotasto (Sattel) nennen. Es gibt verschiedene Arten davon, die bequemsten sind aus Holz, mit einem Stift und einer dicken Darmsaite, die dazu dient, den Capotasto am Hals der Gitarre zu befestigen. Siehe ihre Form weiter unten" (Henry 1826, S. 107 übers.). Auch dieser Kapodaster wurde vorzugsweise am dritten Bund angebracht: "Der Capotasto wird gewöhnlich auf den dritten Bund des Gitarrenhalses gesetzt, und wenn er einmal angebracht ist, spielt man so, als ob der Hals um drei Bünde verkürzt wäre. Die Saiten behalten ihre ursprünglichen Namen, die erste leere Saite E, die zweite H usw. Auf diese Weise wird die Gitarre eine Terz höher gestimmt, wenn man C-Dur spielt, ist die Tonart Es[-Dur] für die anderen Instrumente, wenn man D-Moll spielt, ist die Tonart F-Moll. Indem man ihn höher oder tiefer setzt, kann man nach Belieben transponieren. Diese geniale Maschine verleiht der Gitarre eine weichere Harmonie und einen volleren Klang. Mit dem Capotasto kann man jede Art von Gitarrenmusik spielen, die nicht zu hoch ist. Decall [= Leonhard von Call] ist der erste, der Musik mit Capotasto komponiert hat(Henry 1826, S. 107 übers.; vgl. Plouvier 1836, S. 25). Henry selbst verwendete den Kapodaster in seiner Sérénade pour Guitare et Clarinette, avec Capo-d'astro (op. 22).

In Schillings Encyclopädie der gesammten musikalischen Wissenschaften (1836) ist schließlich nur noch vom hölzernen Kapodaster die Rede: "Der Aufsatz (Steg) selbst besteht gewöhnlich aus einem, mit weichem Leder an der Aufsatzkante beklebten, Stückchen schwarzen Eben- oder andern gebeizten harten Holzes, und ist an beiden Enden mit einem Loch oder sonst einer Vorrichtung versehen, daß er sich mittelst des um den Hals liegenden Bandes leicht befesti­gen läßt" (Schilling 1836, S. 399).