Die Stützfingertechnik wurde zu Beginn des 16. Jahrhunderts im Zusammenhang mit einer neuen Anschlagstechnik für die Laute entwickelt. Dabei lag der kleine Finger der rechten Hand fest auf der Decke, während Daumen und Zeigefinger Melodien und Läufe bzw. Daumen, Zeige-, Mittel- und Ringfinger Akkorde spielten. Die Saiten wurden in der Mitte zwischen Rosette und Saitenhalter angeschlagen. Dies belegt unter anderem Ernst Gottlieb Barons Historisch-Theoretisch und Practische Untersuchung des Instruments der Lauten (1727): "Wenn es aber auf die Frage ankommt, an welchem Ort man die Lauten Saiten berühren soll, damit der Thon seine gehörige Krafft hat? so dienet zu wissen, daß solches in dem Centro des Spatii zwischen dem Stern und Steg geschehen müsse, weil da die Berührung den grösten Effect thut" (Baron 1727, S. 146).
Die neue Anschlagstechnik wurde auf andere Zupfinstrumente übertragen und war im 17. und 18. Jahrhundert fester Bestandteil der Gitarrentechnik. So konnte der französische Gitarrist François Doisy an eine lange Tradition anknüpfen, als er in seiner Vollständige[n] Anweisung für die Guitarre (1802) die Stützfingertechnik vorstellte: "Um die rechte Hand mit Leichtigkeit brauchen zu können, setze man sie zwischen das Schallloch und den unteren Steg, ohne jedoch diesen zu berühren, setze den kleinen Finger, um der Hand Festigkeit zu geben, auf die Oberdecke, und schlage mit den übrigen Fingern die Saiten an. Man vermeide sorgfältig mit freier, wohl gar hüpfender Hand zu spielen, wenn man es zu einiger Vollkommenheit bringen will" (Doisy 1802, S. 4). Heinrich Christian Bergmann betonte in seiner Kurze[n] Anweisung zum Guitarrspielen (1802), dass die Verwendung des Stützfingers die Anschlaghand stabilisiere und einen präziseren und gleichmäßigeren Anschlag ermögliche: "Bey dem Spielen selbst, muß man sie ohnweit des Schalloches halten, und den kleinen Finger fest auf die Guitarre setzen, weil sonst, wenn er seinen Sitz verändert, der Anschlag ungewiß ist, oder die Saiten leichte verwechselt werden können; wenn man auch die Ungleichheit im Tone selbst, die dadurch verursacht würde, nicht erwähnen wollte" (Bergmann 1802, S. 2f.). An dieser Auffassung hielt man bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts fest. Und so blieb die Stützfingertechnik auch im frühen 19. Jahrhundert ein fester Bestandteil der Gitarrentechnik (vgl. Phillis 1799, S. 2; N. N. 1802, S. 2; Gatayes 1803, S.6; Scheidler 1803, S. 3; Lemoine 1805, S. 2; Bevilacqua 1808, S. 1; Staehlin 1811, S. 6; Molino 1813, S. 9; Rosquellas 1813, S. 1; Lehmann 1820, S. 9; Carpentras 1824, S. 3; Bigot 1824, S. 3; Marescot 1825 I, S. 9; Carnaud 1826, S. 3; Varlet 1827, S. 3; Meissonnier 1828, S. 7; Noriéga 1833, S. 7; Häuser 1833, S. 6; Hamilton 1834, S. 1; Parrini 1841, S. 5).
Die Meinungen über die Position des kleinen Fingers auf der Decke gingen auseinander. Die meisten Gitarristen bevorzugten die traditionelle Position in der Mitte zwischen Schallloch und Steg, so zum Beispiel Ferdinando Carulli: "Die Hand sollte sich leicht auf den kleinen Finger stützen, der fast neben der Chanterelle und genau in der Mitte des Abstands vom Steg zur Rosette liegen sollte" (Carulli 1819, S. 4 übers.; vgl. Blum 1818, S. 8; Henry 1826, S. 3; Bathioli 1825 Theil I/1, S. 26; Lintant 1822, S. 3; Bruni 1834, S. 9). Einige Gitarristen empfahlen eine Position in der Nähe des Schalllochs: "Den kleinen Finger der rechten Hand setzt man neben dem Schalloche auf die Oberdecke, ohne den Saiten zu nahe zu kommen. Mit dem Daumen und 3 Fingern wird über der Oeffnung der Anschlag gemacht" (Bornhardt 1820, S. 3; vgl. Gil 1814, S. 14; Joly 1819, S. 6; Reichardt 1839, S. 4). Andere bevorzugten eine Position "einen guten Zoll vom Steeg entfernt" (Gräffer 1811, S. 9, Anm.; vgl. Bevilacqua 1808, S. 2; Rosquellas 1813, S. 1; Harder 1819, S. 39; Kníže 1820, S. 12; Nüske 1832, S. 1; Carcassi 1836, S. 10; Kirkman 1842, S. 2) oder "auf dem Steg" (Legnani 1847, S. 2 übers.). Die unterschiedlichen Anschlagspositionen wurden teils aus Gründen der Bequemlichkeit, teils aus musikalischen Gründen gewählt. Während Bornhardt hauptsächlich Lieder mit Gitarrenbegleitung komponierte und einen weichen, der menschlichen Stimme ähnlichen Klang bevorzugte, schrieb Legnani virtuose Solostücke à la Paganini, für deren schnelle Läufe er einen klar definierbaren Gitarrenklang benötigte. Legnani benutzte sogar zwei Finger als Stützfinger: "Der Ohrfinger sollte auf den Steg gelegt werden, der Ringfinger über die Resonanzdecke" (ebd.).
Nicht nur die Position des Stützfingers, sondern auch die Stellung der Anschlagfinger zu den Saiten wirkte sich auf den Klang aus. So wurde die rechte Hand durch das Aufsetzen des kleinen Fingers leicht nach rechts gedreht und die Finger eher parallel als rechtwinklig zu den Saiten gehalten. Francesco Bathioli hat die Haltung der Anschlaghand in seiner Gemeinnützige[n] Guitareschule (1825) sehr genau beschrieben: "Die Stellung der rechten Hand ist folgende: Man stellt den kleinen Finger ausgestreckt beiläufig in der Mitte zwischen dem Saitenfeste und dem Klangloche neben der sechsten Saite e völlig senkrecht auf; es ist nicht erlaubt, ihn aufzuheben, weil er der Hand als Stütze dienen, und ihr dadurch Sicherheit verschaffen muß. Die 3 übrigen Finger setze man ganz ohne Zwang auf die 3 Darmsaiten, so, dass sie nicht zu sehr gekrümmt, sondern mehr gestreckt, und nur etwas gebogen seien. Der Daumen komme in einer gestreckten Richtung auf Eine der 3 Baßsaiten" (Bathioli 1825 Theil I/1, S. 26; vgl. Mathieu 1825, S. 5). Durch die parallele Stellung der Anschlagfinger vergrößerte sich die Kontaktfläche zu den Darmsaiten. In Verbindung mit dem Kuppenanschlag konnte so ein weicher, ausgewogener und nuancenreicher Ton erzeugt werden. Die Saiten wurden frei angeschlagen. Ein angelegter Anschlag war in Verbindung mit der Stützfingertechnik nicht möglich.
Es gab auch Fälle, in denen auf den Stützfinger verzichtet wurde. So notierte Mauro Giuliani unter einem Crescendo-Abschnitt seiner Otto Variazioni per la Chitarra sola (op. 6) die Spielanweisung "die rechte Hand über dem 15. Bund und unmerklich wieder an ihren Platz setzen" (op. 6, Var. IV übers.). Eine solche Bewegung war nur möglich, wenn man den Stützfinger von der Gitarrendecke nahm. Und D. Joly benutzte zeitweise den vierten Finger als Anschlagfinger: "Der kleine Finger dieser Hand sollte leicht auf der Decke aufliegen, außer wenn der 4. Finger für Arpeggien gebraucht wird" (Joly 1819, S. 6 übers.). August Harder kannte neben den beiden genannten noch zwei weitere Fälle, in denen die Stellung des Stützfingers aufgehoben wurde: Wenn der Daumen über die anzuschlagenden Saiten streicht, sollten alle vier Finger oder zumindest die letzten drei auf die Decke gesetzt werden. Und wenn ein vierstimmiger Akkord mit besonderer Kraft hervorgehoben werden soll, hebt man auch den kleinen Finger an, um der Hand beim Anschlag einen stärkeren Schwung zu geben (vgl. Harder 1819, S. 39). In den 1830er Jahren mehrten sich die Stimmen, die auf die Nachteile der Stützfingertechnik hinwiesen. So bemerkte Pierre Joseph Plouvier in seiner Méthode Moderne (1836): "In der modernen Musik gibt es jedoch viele Passagen, die nach dieser Regel nur sehr schwer auszuführen wären. Dann sollte man aufhören, ihn zu stützen, damit die anderen Finger nicht durch die erzwungene Unbeweglichkeit des kleinen Fingers in ihrer Aktion behindert werden" (Plouvier 1836, S. 6 übers.).
Hauptverantwortlich für die zunehmende Kritik an der Stützfingertechnik waren die Spanier Sor und Aguado. In Spanien war die Stützfingertechnik generell
weniger verbreitet als in anderen europäischen Ländern (vgl. Lardíes 1818, S. 4; J. M. G. y E. 1819, S. 4). Einige spanische Gitarrenmodelle (Panormo) hatten höhere Stege als die italienischen
und französischen Gitarren und waren für diese Spieltechnik weniger geeignet. Es gab aber auch spieltechnische Gründe für die Zurückhaltung gegenüber dieser Technik.
Fernando Sor schränkte den Einsatz des Stützfingers stark ein. Der kleine Finger sollte nur bei schnellen Daumenbewegungen als Stützfinger verwendet werden: "Der kleine Finger dient mir zuweilen, ihn senkrecht auf den Resonnanzboden über der Quinte zu stützen, aber ich habe wohl Acht, ihn wieder aufzuheben, sobald es nicht mehr nöthig ist. Die Nothwendigkeit dieser Stütze rührt daher, dass in den Stellen, welche eine grosse Geschwindigkeit des Daumens erfordern, um von den Noten des Basses zu denen einer Mittelstimme überzugehen, während der erste und zweite Finger beschäftigt sind, einen Bruchtheil des Tackts mit Triolen oder in anderer Weise auszufüllen, ich nie sicher seyn könnte, meine Finger genau ihren entsprechenden Saiten gegenüber zu halten; aber der kleine Finger hält mir die ganze Hand in der Lage, und ich habe mich nur mit dem Gange des Daumens zu beschäftigen; aber sobald meine Hand die ihr angemessene Lage ohne diese Stütze beibehalten kann, höre ich damit auf, damit die Erhöhung des untern Theiles der Hand mir erlaube, die Saiten mit so wenig als möglich gekrümmten Fingern anzuschlagen" (Sor 1831, S. 46f.).
Abgesehen von dieser Ausnahme, praktizierte Sor eine Anschlagtechnik, die mit der Stützfingertechnik unvereinbar war. Er hielt das nach außen gewölbte Gelenk der rechten Hand so weit von der Decke entfernt, dass er die Saiten "mit so wenig als möglich gekrümmten Fingern" anschlagen konnte: "Die Finger müssen den Saiten gegenüber nicht mehr gekrümmt seyn als die welche fig: 11 (4te. Tafel) darstellt: die Handlung des Anschlagens darf nur die seyn mit welcher man die Hand schliesst ohne sie doch ganz zu ballen; der Daumen muss sich nirgend gegen die hohle Hand richten, sondern mit seinem Nebenfinger so verfahren, als wollte er ein Kreuz mit ihm bilden, dessen obern Balken er darstellte; und um die Linie A B mit der Fläche der Saiten in paralleler Richtung zu halten, musste ich die Hand von der Seite des kleinen Fingers ein wenig erheben" (ebd. S. 10; vgl. S. 45).
Bei dieser Anschlagtechnik drehte Sor die rechte Hand nicht, wie bei der Stützfingertechnik üblich, nach rechts, sondern leicht nach links: "Bei der Anwendung desselben [= des Ringfingers] weiche ich immer etwas ab von meiner Regel, die Hand ruhig zu halten, und die Gebehrde, als wolle ich die Saiten ausreissen, zu vermeiden. Nicht blos entferne ich ihn ein wenig, sondern gebe ihm noch eine andere Bewegung, damit der Zweck dieser Entfernung blos in Absicht der Saite in Erfüllung gehe, die der fragliche Finger anschlägt. Diese Bewegung ist die, meine Hand ein wenig im entgegengesetzten Sinne zu wenden, in welchem ich einige Guitarrespieler sie wenden sehe. Anstatt sie von der Saite des Daumens zu trennen, trenne ich sie von der Saite des kleinen Fingers, so dass, wenn die Spitze des Mittelfingers als das Centrum dieser Bewegung betrachtet wird, der Daumen und der Zeigefinger sich den Saiten eben so sehr nähern, als der Ringfinger und der kleine Finger sich davon entfernen, welche Annäherung die Entfernung der Hand ersetzt, welches zur Folge hat, dass meine drei Hauptfinger an ihrer Stelle verbleiben" (ebd. S. 70).
Hinsichtlich der Position der Anschlaghand empfahl Sor, die Saiten auf dem zehnten Teil ihrer Gesamtlänge anzuschlagen, um "einen hellen, hinlänglich nachklingenden und doch nicht zu gewaltsamen Ton" zu erhalten (ebd. S. 14).
Dionisio Aguado lehnte den Gebrauch des Stützfingers kategorisch ab. Der Stützfinger behindere durch sein Gewicht die Schwingung der Resonanzdecke und verursache Schmutzflecken auf der hellen Decke (Aguado 1825 §§ 34f.; 1843, § 38). Stattdessen empfahl er die von Sor beschriebene Haltung mit gebeugtem Handgelenk, leichter Linksdrehung und gestreckten Fingern, wie sie in Abbildung 4 seiner Gitarrenschule zu sehen ist. Fast demonstrativ hat Aguado hier den kleinen Finger abgespreizt.
Die Saiten sollten nach Aguado "etwa sechs Finger vom Steg entfernt" mit den äußersten Fingergliedern angeschlagen werden. Die Anschlagfinger sollten "gerade Linien mit dem Unterarm bilden" (Aguado 1843, § 63 übers.). In seinem posthum veröffentlichten Anhang zur Gitarrenschule empfahl Aguado einen Abstand von "4 oder 5 Fingern vom Steg entfernt" (Aguado 1849, S. 10 übers.), "etwas unterhalb des unteren Teils des Schalllochs" (ebd. S. 13 übers.).
Adolphe Ledhuy schloss sich, wie so oft in spieltechnischen Fragen, der Meinung seines Freundes Aguado an: "Der Unterarm sollte auf der rechten Seite der Zarge aufliegen, ohne dass ein Finger auf die Resonanzdecke gelegt zu werden braucht. Das Gewicht des Armes reicht aus, um die Gitarre in aufrechter Stellung im Gleichgewicht zu halten" (Ledhuy 1828, S. 1 übers.). Auch C. Eugène Roy und Johann Kaspar Mertz lehnten die Stützfingertechnik ab: "Die in vielen Guitareschulen angezeigte Regel, den kleinen Finger der rechten Hand auf die Guitare zu stützen, ist ganz falsch, da dieses sowohl in Bezug auf Geläufigkeit, als zu Erzielung eines schönen vollen Tones nur hinderlich ist" (Mertz 1848, S. 10; vgl. Roy 1840, S. 6; Perez 1843, S. 3; Strawinski 1846, S. 8). Trotz der Kritik blieb die Stützfingertechnik bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts eine Standardtechnik für die rechte Hand.