Der Doppelschlag

1 Der Doppelschlag als Verzierung

C. P. E. Bach: Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen. Bd. 1. 1753. Tabula V. Fig. L.
C. P. E. Bach: Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen. Bd. 1. 1753. Tabula V. Fig. L.

Der Doppelschlag setzte sich aus zwei Vorschlägen zusammen, einem Vorschlag von oben und einem Vorschlag von unten. Die Hauptnote wurde von der oberen und unteren Sekunde in einer Vierergruppe umspielt. Daher wurde diese Verzierung auch Gruppetto genannt. Obwohl der Doppelschlag komplizierter auszuführen war als der einfache Vorschlag, galt er als "leichte Manier", die an vielen Stellen angebracht werden konnte. C. P. E. Bach bemerkte dazu: "Diese schöne Manier ist gleichsam zu gutwillig, sie schickt sich fast allerwegens hin, und wird aus dieser Ursache oft gar sehr gemißbraucht, indem viele glauben, die gantze Zierde und Annehmlichkeit des Clavier-Spielens bestehe darinnen, daß sie alle Augenblicke einen Doppelschlag anbringen" (Bach 1753, S. 86). Und Daniel Gottlob Türk urteilte: "Der Doppelschlag (Doublé) ist unstreitig eine der schönsten und brauchbarsten Manieren, wodurch der Gesang ungemein reizend und belebt wird. Daher kann auch der Doppelschlag sowohl in Tonstücken von zärtlichem, als munterm Charakter, über geschleiften und gestoßenen Noten, angebracht werden" (Türk 1789, S. 282). 

D. G. Türk: Klavierschule. 1789. S. 283.
D. G. Türk: Klavierschule. 1789. S. 283.

Der Doppelschlag wurde durch ein auf dem Rücken liegendes oder stehendes gespiegeltes S notiert oder durch eine kleine Notengruppe, die wie ein absteigender Schleifer aussah, dessen mittlerer Ton auf der gleichen Tonhöhe wie der Hauptton lag. Über oder unter dem Doppelschlag-Zeichen konnten Zeichen für den oberen oder unteren Nebenton stehen. Türk erläuterte dazu in seiner "Klavierschule" (1789): "Der Doppelschlag allein wird gewöhnlich durch das Zeichen bey a) oder b) angedeutet. Auch pflegen ihn verschiedene Komponisten durch drey kleine Nötchen c), oder so wie bey d) zu bezeichnen. Die Ausführung, welche größtentheils geschwind seyn muß, habe ich bey e) f) und g) bestimmt. In Ansehung der Versetzungszeichen bey h) i) k) l) und m) werden die beygefügten kleinen Nötchen hoffentlich einen hinlänglichen Aufschluß geben. Uebrigens warne ich noch vor der zwar gewöhnlichen, aber fehlerhaften, Ausführung bei n); denn der Doppelschlag (ohne Zusatz) muß allemal mit dem Hülfstone (über der vorgeschriebenen Note) angefangen werden, wie bey e)" (Türk 1789, S. 283; vgl. Bach 1753, S. 85; Koch 1802, Sp. 450-454; Müller 1815, S. 284).

D. G. Türk: Klavierschule. 1789. S. 284.
D. G. Türk: Klavierschule. 1789. S. 284.

Entsprechend der damaligen Praxis konnten die ausführenden Musiker Doppelschläge auch improvisierend in die Melodiestimme einfügen. Bach und Türk nannten eine Reihe von Stellen, an denen Doppelschläge eingesetzt werden konnten: "Der Doppelschlag kommt auf allen Takttheilen, über langen a) und ziemlich kurzen b), über steigenden c) und fallenden d), über springenden a) und stufenweise fortschreitenden c) d), über wiederholten e) und frey eintretenden Noten f), nach Vorschlägen g) und über h) denselben vor" " (Türk 1789, S. 283f.; vgl. Bach 1753, S. 85-88; Müller 1815, S. 284).

Bach wies darauf hin, dass der Doppelschlag eine Mittelstellung zwischen Vorschlag und Triller einnehme. Er sei weder für Passagen, die einfach vorgetragen werden müssen, noch für lange Noten geeignet: "Da diese Manier in den mehresten Fällen gebraucht wird, um die Noten gläntzend zu machen, so werden gemeiniglich die, so wegen des Affects unterhalten und simpel vorgetragen werden müssen ... dadurch verdorben" (Bach 1753, S. 87). "Da dieser Doppelschlag die allermeiste Zeit geschwinde gemacht und die oberste Note nach der schon angeführten Art geschnellt wird, so begehet man einen Fehler, wenn man bey einer langen Note, welche durch den Triller ausgefüllet werden sollte, hierdurch zu leer bleibt" (ebd.).

D. G. Türk: Klavierschule. 1789. S. 286.
D. G. Türk: Klavierschule. 1789. S. 286.

Im Gegensatz zum Triller konnte der Doppelschlag nicht nur über, sondern auch rechts von der Hauptnote notiert werden: "Der Doppelschlag allein kommt auch nach einer Note oder Vorschlag vor, und zwar erstlich, wenn solche etwas lang sind; zweytens, bey einer Bindung, und drittens, wenn Punckte nachfolgen" (Bach 1753, S. 90). In diesem Fall wurde die Hauptnote zuerst gespielt und der Doppelschlag kurz vor der folgenden Note ausgeführt. Der nachfolgende Doppelschlag bestand also aus fünf statt der üblichen vier Noten, einschließlich der Hauptnote. Türk erläuterte die Ausführung an drei Beispielen: "Wenn das Zeichen des Doppelschlages nicht gerade über der Note, sondern etwas seitwärts (rechts) a) b), oder über einem Punkte c) steht: so wird der Doppelschlag nicht beym Eintritte des vorgeschriebenen Tones, sondern später d. h. kurz vor dem folgenden Tone (oder Punkte) ausgeführt. Durch die in der zweyten Notenreihe beygefügte Eintheilung läßt sich dies genauer bestimmen" (Türk 1789, S. 286; vgl. Koch 1802, Sp. 449-452; Müller 1815, S. 284; Hummel 1828, S. 391; Spohr 1832, S. 168f.; Fürstenau 1844, S. 66).

Seltenere Varianten dieser Verzierung waren der geschnellte Doppelschlag, der umgekehrte Doppelschlag, der geschleifte Doppelschlag und der prallende Doppelschlag (Bach 1753, S. 92-98; Türk 1789, S. 287-293; Koch 1802, Sp. 453f.; Müller 1815, S. 285). Der umgekehrte Doppelschlag wurde durch ein auf dem Rücken liegendes S gekennzeichnet (Türk 1789, S. 289; Müller 1815, S. 285).

In der Frühromantik wurden die Ausführungsvarianten des Doppelschlags deutlich reduziert und vereinfacht. Zudem wurde das Notationszeichen der Ausführungsbewegung des Doppelschlags angepasst: Der absteigende Doppelschlag wurde mit einem auf dem Rücken liegenden S notiert, der aufsteigende Doppelschlag mit einem auf dem Rücken liegenden gespiegelten S. Eine dritte Ausführungsvariante, die mit der Hauptnote beginnt und endet, wurde mit einem auf dem Rücken liegenden S und einer kleinen Zusatznote im Notentext fixiert.

J. N. Hummel: Anweisung zum Piano-Forte-Spiel. 1828. S. 390.
J. N. Hummel: Anweisung zum Piano-Forte-Spiel. 1828. S. 390.

Johann Nepomuk Hummel unterschied drei Formen des Doppelschlags, wobei er den Anfangston als Unterscheidungsmerkmal wählte: "Der Doppelschlag ist eine aus der Hauptnote und dem obern und untern Hülfston bestehende Notengruppe, die sowohl auf, als zwischen den Noten erscheint, und weder zu schnell, noch zu schlaff, sondern lebhaft, rund und etwas kraftvoll vorgetragen wird. Er wird auf dreierlei Art vorgestellt und vorgetragen, nämlich a) von der Hauptnote selbst mit einem Zusatznötchen, b) vom obern Hülfston herab, und c) von untern Zusatzton hinauf angefangen" (Hummel 1828, S. 390). Für den nachschlagenden Doppelschlag legte sich Hummel, ganz traditionell, auf die Variante b) fest: "Bei zwischen zwei Noten, oder über einem Punkt vorkommenden Doppelschlägen, wird nur der von oben herabgehende gebraucht" (ebd. S. 391).

L. Spohr: Violinschule. 1832. S. 168.
L. Spohr: Violinschule. 1832. S. 168.

Louis Spohr folgte Hummels Ausführungen weitgehend, reduzierte aber die Zahl der Ausführungsvarianten auf zwei, den absteigenden und den aufsteigenden Doppelschlag: "In neuerer Zeit hat man angefangen, dieses dem Spieler durch die Stellung des Zeichens vorzuschreiben, welches sehr zu loben ist und allgemeine Nachahmung verdient. Diesemnach zeigt das Zeichen, bey welchem das erste Häckchen nach oben gebogen ist, an, dass der Doppelschlag mit der obern Note beginnen soll, das entgegengesetzte aber, dass er mit der untern Note beginnen soll" (Spohr 1832, S. 168; vgl. Fürstenau 1844, S. 65). Auch bezüglich der Ausführungsgeschwindigkeit war Spohr anderer Meinung als Hummel: "Der Doppelschlag wird immer schnell gemacht, nicht nur im geschwinden, sondern auch im langsamen Zeitmaass" (ebd. S. 169).

A. B. Fürstenau: Die Kunst des Flötenspiels. 1844. S. 65.
A. B. Fürstenau: Die Kunst des Flötenspiels. 1844. S. 65.

In der Romantik galt die "Doppelschlagsmethode", die "auch wohl unter dem Namen Schleifer mit zu den Vorschlagsarten gerechnet worden" war, als "veraltet" (Fürstenau 1844, S. 65). Stattdessen verstand man unter dem Doppelschlagzeichen nur noch "diejenige Art des Doppelschlags ..., welche mit der Hauptnote, worüber das Zeichen steht, und die vorzugsweise etwas lange auszuhalten, beginnt, während hinterher die nächstfolgende höhere und tiefere mit der Hauptnote in der Mitte als Nachschlag gemacht werden, und dann schliesslich die Hauptnote nochmals als vierte oder fünfte Note (nämlich als vierte des Nachschlages, und als fünfte der ganzen Figur) angehängt wird, welche man auch hier wohl wieder ein wenig anhält. z. B. [siehe Abb.]" (ebd.). Der nachschlagende Doppelschlag wurde in der Romantik als eine "zu den Trillerarten" gehörende Verzierung, als ein "Variirtriller" angesehen, der "ein nur noch mehr ausgeschmückter Mordent" sei. Deshalb wurde er "häufig auch Mordent genannt" (ebd.).

2 Der Doppelschlag in der Gitarrenmusik

In den Gitarrenschulen des frühen 19. Jahrhunderts wird der Doppelschlag eher selten behandelt. Er findet sich fast ausschließlich in den anspruchsvolleren Lehrwerken und dort oft "ohne fernere Erklärung" (Staehlin 1811, S. 33). Die italienischen Gitarristen Giuliani, Molino, Bathioli und Carcassi gehörten zu den wenigen, die die Verzierungen ausführlicher behandelten.

M. Giuliani: Studio per la Chitarra. 1812. S. 36.
M. Giuliani: Studio per la Chitarra. 1812. S. 36.

Mauro Giuliani begann den Doppelschlag mit der Hauptnote. Dementsprechend bestand der im "Studio per la Chitarra" (1812) gezeigte Doppelschlag aus fünf statt der üblichen vier Noten: "Dieser wird auf einen Schlag ausgeführt, indem man die Erste der vier kleinen Noten anschlägt, die Zweite abschnellet, die Dritte und Vierte durch das Auffallen der Finger ausdrückt, und die Fünfte abermal von der Saite abschnellet" (Giuliani 1812, S. 36).

F. Molino: Nouvelle Methode Complette pour Guitare ou Lyre. 1817. S. 39.
F. Molino: Nouvelle Methode Complette pour Guitare ou Lyre. 1817. S. 39.

Francesco Molino hingegen führte den Doppelschlag konventionell aus. In seiner "Nouvelle Méthode pour la Guitare" (1813) stellte er die gebräuchlichsten Varianten des Doppelschlags vor. Zunächst behandelte er den normalen Doppelschlag: "So nennt man die Verzierung, die aus drey kleinen geschleiften Noten besteht. Wenn der Doppelschlag über der Hauptnote gezeichnet ist, so schlägt man die erste von den drey Noten an, hebt dann sogleich den dritten, darauf den ersten Finger der linken Hand, und sobald dieser aufgehoben ist, lässt man rasch denselben Finger auf die Saite fallen, um die Hauptnote zu fassen, die ohne Hülfe der rechten Hand anklingen muss, wie im ersten Kapitel Beispiel No. 5 gezeigt ist" (Molino 1813, S. 28f.). 

F. Molino: Nouvelle Methode Complette pour Guitare ou Lyre. 1817. S. 39.
F. Molino: Nouvelle Methode Complette pour Guitare ou Lyre. 1817. S. 39.

Dann ging er auf den umgekehrten Doppelschlag ein: "Wenn aber der Doppelschlag unter der Hauptnote anfängt, so lässt man, sobald als man die erste von den drey Noten angeschlagen hat, rasch den ersten und dann den dritten Finger auf die Saite fallen und hebt den letztern sogleich wieder auf, um die Hauptnote klingen zu lassen. Beispiel No. 6" (Molino 1813, S. 29).

F. Molino: Nouvelle Methode Complette pour Guitare ou Lyre. 1817. S. 39.
F. Molino: Nouvelle Methode Complette pour Guitare ou Lyre. 1817. S. 39.

Schließlich stellte er den nachschlagenden Doppelschlag vor, den er als ein auf dem Rücken liegendes gespiegeltes S notierte: "Es giebt eine ähnliche Verzierung, die nach der Hauptnote gemacht und durch dieses Zeichen ~ bezeichnet wird (Beispiel No. 9)" (ebd.).

Ähnliche Notenbeispiele finden sich in den Gitarrenschulen von Blum, Harder und Kníže. Blum ergänzte seine Ausführungen mit dem Hinweis, dass man bei der Verwendung von Verzierungen "nicht vorsichtig genug sein kann um damit nicht ein Tonstück zu überladen" (Blum 1818, S. 25; vgl. Harder 1819, S. 29; Kníže 1820, S. 27).

Francesco Bathioli orientierte sich bereits an der frühromantischen Verzierungspraxis. In seiner Gemeinnützige[n] Guitareschule (1825) stellt er den absteigenden und den aufsteigenden Doppelschlag vor und überlässt es "der Willkühr und Einsicht des Spielers", ob er den Doppelschlag mit dem oberen oder dem unteren Nebenton beginnt: "Das Gruppeto oder der Doppelschlag ist eine Manier, welche bald aus drei schnell vorschlagenden, bald aus vier schnell nachschlagenden Tönen besteht, wo der Vorschlag von oben mit jenem von unten dergestalt vereinigt erscheint, daß inzwischen der wesentliche Ton gehört wird. Diese Manier kann nicht nur mit dem Vorschlage von oben, sondern auch mit jenem von unten angefangen werden, wo man sodann in beiden Fällen schnell den wesentlichen Ton, und gleich darauf, wenn mit dem Vorschlage von oben angefangen wurde, den unterhalben Ton, wenn aber den Anfang der Vorschlag von unten machte, den oberhalben Ton nimmt, und zuletzt wieder den vorgeschriebenen wesentlichen Ton anhält; mithin muß in jedem Falle mit dem wesentlichen Tone geschloßen werden. Man bezeichnet das Gruppeto bald ausdrücklich durch kleine Noten, bald aber bloß mit einem, einmal aufrecht stehenden, einmal liegenden Schlangenstriche" (Bathioli 1825 Theil II/1, S. 26; vgl. Legnani 1847, S. 20). Den absteigenden Doppelschlag notierte Bathioli, ganz altmodisch, als ein stehendes gespiegeltes S, den aufsteigenden Doppelschlag dagegen, ganz modern, als ein auf dem Rücken liegendes gespiegeltes S. Er räumte ein, dass diese Unterscheidung "nicht allgemein anerkannt" sei (ebd.). 

Auch beim nachschlagenden Doppelschlag überließ Bathioli es dem Spieler, die Verzierung mit dem oberen oder dem unteren Halbton zu beginnen: "Findet man eines von den vorangeführten Zeichen zwischen zwei Noten, so gehört es dessen ungeachtet zur vorhergehenden Note und bedeutet das Gruppeto, welches aus vier schnell nachschlagenden Tönen bestehet. Dieses wird ebenfalls bald mit dem obern, bald mit dem untern halben Tone angefangen, je nachdem es der Geist des Tonstückes erfordert" (ebd.). 

Abschließend wies er darauf hin, dass die Ausführungsgeschwindigkeit des Doppelschlages dem Tempo des jeweiligen Stückes angepasst werden müsse: "Endlich hat man bei Ausführung des Gruppeto noch insbesondere auf die Geschwindigkeit, in welcher es zu bewerkstelligen ist, einige Aufmerksamkeit zu richten; es darf nämlich im langsamen Tempo des Tonstückes nicht zu geschwinde, und im geschwinden nicht zu langsam vorgetragen werden" (ebd. S. 27).

M. Carcassi: Vollständige Guitareschule. 1836. S. 43.
M. Carcassi: Vollständige Guitareschule. 1836. S. 43.

Matteo Carcassi stützte sich bei seinen Aussagen über den Doppelschlag wahrscheinlich auf Hummels Anweisung zum Piano-Forte-Spiel (1828). In seiner "Vollständige[n] Guitareschule" (1835) schrieb er nahezu wortgleich: "Der Gruppetto ist eine Figur von mehreren kleinen Noten, aus der Hauptnote und der zunächst oberhalb oder unterhalb gelegenen Hülfsnote zusammengesetzt. Man bezeichnet und führt denselben auf drei Arten aus:

1tens. Mit einer kleinen Note anfangend die mit der Hauptnote auf gleicher Stufe steht.

2tens. Mit der zunächst darüber liegenden Hülfsnote anfangend.

3tens. Mit der zunächst darunter liegenden Hülfsnote anfangend" (Carcassi 1836, S. 43). 

Auch bei der Platzierung des Versetzungszeichens über und unter dem Doppelschlagzeichen orientierte er sich an Hummels Notierungspraxis: "Ist eine der kleinen Noten durch # oder b verändert, so bezeichnet man den Gruppetto wenn es die obere gilt durch [b über dem Gruppetto-Zeichen] wenn es die untere gilt mit [# unter dem Gruppetto-Zeichen]" (ebd.).

M. Carcassi: Vollständige Guitareschule. 1836. S. 43.
M. Carcassi: Vollständige Guitareschule. 1836. S. 43.

In seinen Erläuterungen zum nachschlagenden Doppelschlag folgte er ebenfalls den Ausführungen Hummels: "Steht der Gruppetto zwischen zwei Hauptnoten so beginnt derselbe jederzeit mit der darüber liegenden Hülfsnote" (ebd.).

Hummels Idee, den Doppelschlag mit der Hauptnote zu beginnen, wurde auch von anderen Gitarristen der Frühromantik aufgegriffen. So bevorzugten Ferdinand Pelzer und Mrs. Kirkman diese Doppelschlagvariante, wobei Pelzer auch den nachschlagenden und Kirkman den absteigenden Doppelschlag verwendete (vgl. Pelzer 1835, S. 49f.; Kirkman 1842, S. 19). 

Die romantischen Gitarristen Franz Gregor Seegner und Johann Kaspar Mertz schließlich folgten der allgemeinen Tendenz, den Doppelschlag als eine zu den Trillern gehörende Verzierung zu betrachten. Sie stellten in ihren Gitarrenschulen nur noch den nachschlagenden Doppelschlag vor. Nach Mertz konnte die Verzierung flexibel gestaltet und dem musikalischen Kontext angepasst werden: "Der Doppelschlag (Mordent) wird je nach dem die Note, über welcher er steht, kurz oder lang ist, durch drei, vier, fünf oder sechs Noten ausgeführt" (Mertz 1848, S. 23; vgl. Seegner 1828, S. 4).

Einen etwas anderen Stellenwert hatte die Verzierung in der französischen Gitarrentradition. Die französischen Gitarristen knüpften an den style brisé an, den charakteristischen Stil der Lautenmusik des 17. Jahrhunderts, an. In diesem Stil wurden Akkordfolgen in unregelmäßige und unvorhersehbare Muster aus Arpeggien und durchgehenden Noten "gebrochen".

J.-B. Phillis: Nouvelle Méthode Pour la Lyre ou Guitarre. 1799. S. 11.
J.-B. Phillis: Nouvelle Méthode Pour la Lyre ou Guitarre. 1799. S. 11.

In den um 1800 erschienenen französischen Gitarrenschulen wurde der Doppelschlag als "Brisé" bezeichnet (Phillis 1799, S. 11). Seine Funktion bestand darin, eine melodische Hauptnote zu brechen. Jean-Baptiste Phillis beschrieb das Brisé folgendermaßen: "Es ist leichter auszuführen und noch brillanter als der Triller (Cadence): Die Wirkung wird durch das Ziehen (tiraillementder Finger der linken Hand hervorgerufen; der erste Ton G wird gezupft; das Ziehen des vierten Fingers, des zweiten [Fingers] und der Vorschlag von unten (Chûte) erledigen den Rest" (Phillis 1799, S. 11 übers.; vgl. Bédard 1807, S. 8). 

P. F. O. Aubert: Nouvelle Méthode Pour la Lyre ou Guitarre. 1813. S. 6.
P. F. O. Aubert: Nouvelle Méthode Pour la Lyre ou Guitarre. 1813. S. 6.

Im Gegensatz zum Doppelschlag wird das Brisé nicht durch eine Abzugs- und Aufschlagbindung ausgeführt, sondern durch eine gleitende Bewegung des Greiffingers. Pierre François Olivier Aubert stellte dies in seiner Nouvelle Méthode Pour la Lyre ou Guitarre (1813) klar heraus: "Es gibt noch eine weitere Möglichkeit, gebundene Noten zu erzeugen, nämlich mit demselben Finger über mehrere Bünde zu gleiten, sei es über benachbarte, sei es über auseinanderliegende Bünde (das nennt man Glissade): Es ist leicht zu sehen, dass es derselbe Finger ist, der alle gebundenen Noten erzeugt" (Aubert 1813, S. 6 übers.).

A. Ledhuy: Méthode de Guitare. 1828. S. 16.
A. Ledhuy: Méthode de Guitare. 1828. S. 16.

Da die Hauptfunktion der Brisés darin bestand, eine Hauptnote zu zerlegen, und nicht darin, einen besonderen Verzierungseffekt zu erzielen, konnten sie unterschiedliche Formen annehmen. So stellte Adolphe Ledhuy in seiner Méthode de Guitare (1828) eine ganze Reihe von Brisés vor (Ledhuy 1828, S. 16).

Einen anderen Ansatz wählte Antoine Lemoine. Er bezeichnete den Doppelschlag als "Trémoulade" und ordnete ihn den Trillerarten zu (Lemoine 1807a, S. 13).

Unter dem Einfluss italienischer und spanischer Gitarristen näherte sich die Verzierungspraxis der französischen Gitarristen immer mehr dem europäischen Standard an. So wurden Verzierungen mit zwei, drei oder vier Vorschlagsnoten als "petites notes" oder "notes d'agrément" bezeichnet. 

F. Carulli: Méthode Complette pour Guitare. Troisième Edition. 1822. S. 37.
F. Carulli: Méthode Complette pour Guitare. Troisième Edition. 1822. S. 37.

Der Doppelschlag wurde den "petites notes" oder "notes d'agrément" zugeordnet und zusammen mit den anderen Vorschlagsverzierungen vorgestellt (vgl. Carulli 1819, S. 35; 1822, S. 37; Joly 1819, S. 39; Defrance 1834, S. 32; Varlet 1827, S. 10; Meissonnier 1839, S. 14). Es blieb dem Geschmack des Interpreten überlassen, welche Verzierungen er in eine Melodiezeile einfügte. Jean-Racine Meissonnier wies ausdrücklich auf die freie Verwendung von Verzierungen hin: "Die Verzierungsnoten [notes d’agrément] sind Noten des Geschmacks, die während des Vortrags hinzugefügt werden, um ein Lied zu variieren oder um zu einfache Passagen zu verzieren, und die in kleinen Noten geschrieben sind" (Meissonnier 1828, S. 34 übers.).

J.-B. Mathieu: Méthode de Guitarre. 1825. S. 13.
J.-B. Mathieu: Méthode de Guitarre. 1825. S. 13.

In den französischen Gitarrenschulen wurde der Begriff "Gruppetto" nur selten verwendet oder das Notationszeichen für den Doppelschlag eingeführt (vgl. Plouvier 1816, S. 18; Joly 1819, S. 39; Mathieu 1825, S. 13; Henry 1826, S. 75). Bénigne Henry stellte das "Grupetto", wie die italienischen Gitarristen, als eigenständiges Ornament dar. Und Jean-Baptiste Mathieu würdigte das "groupetto" als eine besondere Variante der "notes d'agrémens", die auf vielfältige Weise ausgeführt werden könne. 

D. Aguado: Méthode Complète Pour la Guitare. 1826. S. 76.
D. Aguado: Méthode Complète Pour la Guitare. 1826. S. 76.

Dionisio Aguado wählte einen anderen Weg, um der französischen Gitarrenszene den Doppelschlag als eigenständige Verzierung vorzustellen. Er definierte den Begriff "Brisé" neu: "Ich nenne [die Verzierung] Brisé simple, wenn sie aus einem Vorschlag von unten und einem von oben besteht (Ex. 13, Nr. 1); [Brisé] double, wenn sie aus vier Noten besteht (Nr. 2)" (Aguado 1826, § 336 übers.). In den spanischen Ausgaben seiner Gitarrenschule verwendet er dagegen die Begriffe mordente sencillo ("einfacher Mordent") und mordente doble ("doppelter Mordent") (Aguado 1825, §§ 335f.; 1843, §§ 137-142 übers.; vgl. Martinez 1831, S. 7).