Im Gegensatz zu den wesentlichen Manieren hatten die willkürlichen Manieren keine eigenen Bezeichnung. Ihre Gestaltung war, wie der Name schon sagt, der Willkür des Spielers überlassen. Dementsprechend wurden sie auch nicht mit besonderen Zeichen in der Notenschrift notiert. Die Stellen, an denen willkürliche Verzierungen angebracht werden konnten, wurden jedoch durch Fermaten markiert. Die Fermate (frz. point d'orgue, ital. corona) war ein Pausenzeichen in Form eines Halbkreises mit einem Punkt in der Mitte. Sie konnte über einer Note oder einer Pause notiert werden. Ihre Funktion bestand darin, die Taktbewegung für eine gewisse Zeit zu unterbrechen und die Aufmerksamkeit auf die Note zu lenken, über der sie stand. Von den Spielern wurde erwartet, dass sie die zu haltenden Noten melodisch ausschmückten. Fermaten dienten als Platzhalter für kleine Improvisationen.
C. P. E. Bach erläuterte in seinem "Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen" (1753) die musikalische Funktion der Fermate: "Man braucht diese letztern oft mit guter Würckung; sie erwecken eine besondere Aufmercksamkeit. Man deutet sie durch das gewöhnliche Zeichen eines Bogens mit einem Punckte darunter an und hält so lange dabey stille, als es ohngefehr der Inhalt des Stückes erfordert. Zuweilen fermirt man aus Affeckt, ohne daß etwas angedeutet ist. Ausserdem aber kommen diese Fermaten auf dreyerley Art vor. Man hält entweder über der vorletzten Note, oder über der letzten Note des Basses, oder nach dieser über einer Pause stille. Es sollte dieses Zeichen von Rechtswegen allezeit an dem Orte, wo man anfängt zu fermiren und allenfalls noch einmahl, bey dem Ende der Fermate, angedeutet seyn. Die Fermaten über Pausen kommen mehrentheils im Allegro vor, und werden gantz simple vorgetragen. Die andern zwey Arten findet man gemeiniglich in langsamen und affecktuösen Stücken, und müssen verziert werden, oder man fällt in den Fehler der Einfalt. Es können also allenfals bey den übrigen Stellen eines Stückes eher weitläuftigere Manieren gemisset werden als hier" (Bach 1753, S. 112f.).
Dilettanten, die Schwierigkeiten hatten, aus dem Stegreif zu improvisieren, riet Bach zum Trillerspiel: "Wer die Geschicklichkeit nicht hat, weitläuftige Manieren hierbey anzubringen, der kan sich zur Noth dadurch helffen, daß er über einem vorkommenden Vorschlage von oben vor der letzten Note im Discante einen langen Triller von unten anbringet. Findet sich aber in diesem Falle ein Vorschlag von unten, so trägt man ihn simpel vor und macht über der Haupt-Note den erwehnten langen Triller. Bey Fermaten ohne Vorschlag hat dieser Triller über der letzten Note im Discante ebenfals statt" (ebd. S. 114).
Daniel Gottlob Türk nahm in seiner "Klavierschule" (1789) einige Differenzierungen und Präzisierungen hinsichtlich des Ruhezeichens vor. Zunächst unterschied er begrifflich die "Fermate" in der Mitte eines Musikstückes von der "verzierten Kadenz" am Ende eines Soloparts in einem Instrumentalkonzert. Er versuchte auch, die Dauer der Fermate genau zu bestimmen.
Die "Fermate" stellte nach Türk "einen Halt, mit oder ohne willkührliche Verzierungen" dar: "In den Beyspielen a) und b) verweilt man bey den mit einem bezeichneten Noten, und bey c) vorzüglich bey der Pause länger, als es die eigentliche Geltung derselben erfordert" (Türk 1789, S. 121; vgl. Koch 1802, Sp. 562f.; Müller 1815, S. 25; Hummel 1828, S. 65). Bezüglich ihrer Dauer gab Türk einen groben Anhaltspunkt: "Wie lange man bey einer Fermate verweilen (inne halten) soll, läßt sich nicht ganz genau bestimmen, weil hierbey vieles auf die jedesmaligen Umstände ankommt, ob man z. B. allein, oder mit mehreren Personen zugleich spielt; ob das Tonstück einen muntern, oder traurigen Charakter hat; ob die Fermate verziert (d. h. durch willkührliche Zusätze verschönert) wird, oder nicht u. s. w. Wenn man auf dergleichen zufällige Umstände keine Rücksicht zu nehmen hätte, so würde ich rathen, in langsamer Bewegung bey Noten mit dem Ruhezeichen ungefähr noch einmal so lange zu verweilen, als ihre eigentliche Dauer beträgt, folglich bey einem Viertel mit dem etwa eine halbe Taktnote sc. In geschwindem Zeitmaße wäre diese Verzögerung zu kurz, daher könnte man bey einem Viertel ungefähr die Dauer von vieren abwarten. Bey längern Notengattungen mit einem brauchte man nur etwa noch einmal so lange zu verweilen, als die Dauer der Note beträgt. Steht das Ruhezeichen über einer kurzen Pause, wie in dem obigen Beyspiele c), so kann man ungefähr drey bis vier Viertel lang über die vorgeschriebene Geltung inne halten, wenn nämlich das Zeitmaß geschwind ist; in langsamer Bewegung aber wäre es mit der Hälfte genug" (ebd.). Auch bei einer Pause nach einer Fermate müsse man länger verweilen.
Türk stellte drei Regeln für die Verzierung einer Fermate auf, die sich "besonders in affektvollen Tonstücken" bewährt hätten:
"1) Jede Verzierung muß dem Charakter des Tonstückes angemessen seyn. Sehr unschicklich wäre es daher, wenn man in einem Adagio von traurigem sc. Charakter bey der Verzierung der Fermate muntere Passagen anbrächte u.s.w.
2) Die Verzierung soll sich, genau genommen, nur auf die vorgeschriebene Harmonie gründen. Wenn also ... der Quartsextenakkord zum Grunde liegt, so soll eigentlich bey der Verzierung kein Intervall eingemischt werden, welches nicht zu der erwähnten Harmonie gehört. Ueberhaupt pflegt man es in Rücksicht dieser zweyten Regel so genau nicht zu nehmen. Nur hüte man sich vor förmlichen Ausweichungen in andere Töne.
3) Die Verzierung darf nicht lang seyn; jedoch ist man dabey in Ansehung des Taktes ganz ungebunden" (ebd. S. 301).
Außerdem empfahl Türk, das Tempo vor der Fermate etwas zu verlangsamen: "Ueberhaupt pflegt man, wenn es der Affekt erfordert, schon bey den Noten vor der Fermate die Bewegung allmählich etwas langsamer zu nehmen; vorausgesetzt daß man allein spielt, oder aufmerksame Begleiter hat. Auch ist es nicht schlechterdings nöthig, die Verzierung jedesmal mit dem vorgeschriebenen Intervalle zu endigen. Nur versteht es sich, daß man dafür mit einem andern zur Harmonie gehörigen Tone schließen muß" (ebd. S. 304). Auch Carl Benda stellte in seinen „Bemerkungen über Spiel und Vortrag des Adagio" (1819) die Regel auf: "Zeigt sich eine Fermate, so spielt man die derselben vorangehenden Noten nach und nach etwas langsamer und gemässigter" (AMZ 21/1819, Sp. 820).
Amateuren, die sich die Verzierung einer Fermate nicht zutrauten, empfahl Türk, stattdessen einen Triller oder einen Mordent zu spielen: "Wer keine willkührliche Verzierung erfinden kann, und doch die Fermaten nicht ganz simpel vortragen will, für den bleibt nichts übrig, als etwa ein Triller oder Mordent, wie hier. Doch würde ich rathen, in Tonstücken von traurigem sc. Charakter die Fermaten lieber gar nicht, als durch einen zweckwidrigen scharfen Triller oder Mordenten zu verzieren" (ebd. S. 304f.).
Heinrich Christoph Koch verglich die Unterbrechung der musikalischen Bewegung durch eine Fermate mit Momenten des Innehaltens, die das Gefühlsleben prägen. In seinem "Musikalische[n] Lexikon" (1802) stellte er fest: "Der Ausdruck der Verwunderung oder des Erstaunens, eine Empfindung, wobey die Bewegungen des Geistes selbst einen kurzen Stillstand zu machen scheinen, oder solche Stellen, wo die vorhandene Empfindung sich durch ihre völlige Ergießung erschöpft zu haben scheint, sind hinreichend, das Daseyn solcher Fermaten zu begünstigen" (Koch 1802, Sp. 561-563). An die Verzierung einer Fermate stellte er den Anspruch, solche Momente des Innehaltens - des Staunens, der Erwartung, des Entsetzens oder der Erschöpfung - musikalisch zum Ausdruck zu bringen.
August Eberhard Müller stellte in seiner "Fortepiano-Schule" (1815) die Regel auf, dass kürzere Verzierungen mit der folgenden, längere mit der vorhergehenden Hauptnote zu verbinden seien: "Willkührliche Verzierungen sind die, deren Ausführung mehr dem Gefühl und Geschmack des Spielers überlassen ist. Wo sie angegeben werden, zeigt man sie mit kleinen Noten an; nicht-vorgeschriebene anzubringen ist nur dem erlaubt, der Composition verstehet und schon für die Kunst ausgebildet ist. (...) Die kürzern (von drey oder vier Noten) verbindet man im Vortrage mit der auf sie folgenden Hauptnote, wie die wesentlichen Manieren; die längern verbindet man in der Regel mit der ihnen vorhergehenden Hauptnote; z. B." (Müller 1815, S. 286).
In der Romantik wandte man sich von der Praxis der improvisatorischen Verzierung der Fermaten ab. Willkürliche Verzierungen waren nun Sache des Komponisten und nicht des Interpreten. In den Instrumentenschulen von Hummel, Spohr und Fürstenau wurden daher die willkürlichen Verzierungen nicht eigens thematisiert. Man begnügte sich mit dem Hinweis, dass sie vom Komponisten vorgeschrieben seien: "Der Doppelvorschlag, Schleifer und andere zusammengesetzte, der Willkühr des Komponisten überlassene Verzierungen bedürfen keiner nähern Erklärung, da diese durch die Schreibart von selbst in die Augen fällt" (Hummel 1828, S. 393).
In den Gitarrenschulen des frühen 19. Jahrhunderts finden sich so gut wie keine Erläuterungen zu den willkürlichen Verzierungen. Die Lehrwerke waren für Anfänger und Fortgeschrittene geschrieben, von denen nicht erwartet wurde, dass sie die von ihnen gespielten Stücke mit Improvisationen ausschmückten. Begabten Schülern wurden die notwendigen Kenntnisse für improvisierte Verzierungen im Gitarrenunterricht vermittelt.
François Doisy hat sich in seinen "Principes Généraux de la Guitare" (1801) am ausführlichsten mit der Bedeutung der Fermate auseinandergesetzt. Er erklärte ihre Funktion als Kadenzzeichen in einem Solokonzert: "Der Point-d'orgue wird auf einer Note gemacht, über der sich eine Krone oder eine Art umgekehrtes C mit einem Punkt in der Mitte befindet. Er zeigt eine Pause an, auf der man so lange verweilen kann, wie man will. Gewöhnlich spielt man dort eine Caprice, die man auch Point-d'orgue oder auf Italienisch Cadenza nennt. Sie wird von der Solostimme ausgeführt, die während dieser Zeit die anderen zum Schweigen zwingt. Dieser Point-d'orgue steht fast immer am Ende eines Musikstücks, sei es ein Konzert, ein Rondeau etc. etc. Er wird über einer Dominant-Tonika oder einer Tonika gespielt. Man kann nach Belieben alle möglichen Modulationen durchlaufen, vorausgesetzt, man kehrt zu dem Ton zurück, von dem man am Anfang ausgegangen ist" (Doisy 1801, S. 49 übers.). Die Kadenz gab dem Solisten die Gelegenheit, eine freie Fantasie ("Caprice") über die Hauptthemen eines Satzes zu spielen, und dabei sein technisches Können und seine Improvisationsgabe unter Beweis zu stellen. Nur wenige Amateure waren zu solchen Leistungen fähig. Bezeichnenderweise wurden Doisys Erläuterungen zur Fermate in der deutschen Übersetzung der Schule ersatzlos gestrichen.
Auf die Verzierung der Fermate ging Doisy in seiner Gitarrenschule nicht näher ein. Er versah jedoch einige seiner Werke mit Verzierungen, die "ad libitum" ausgeführt werden konnten. In seinen "Six Pot-Pourris entremêlés d'Airs variés et faciles" (1800) stellte er mehrere Möglichkeiten vor, eine Fermate zu verzieren. Die willkürlichen Verzierungen dienten dazu, die Übergänge zwischen den einzelnen Abschnitten des Werkes zu gestalten. Die kleinen Improvisationen bestanden meist aus effektvollen Akkordzerlegungen, Intervallen und virtuosen Läufen.
Doisys Praxis, neben der Fermate eine Verzierung ad libitum zu notieren, war durchaus üblich und stellte einen Kompromiss zwischen den Ansprüchen des Komponisten und den Fähigkeiten der Amateurmusiker dar. Mauro Giuliani versah nur anspruchsvolle und technisch schwierige Werke mit willkürlichen Verzierungen. Die betreffenden Werke lassen sich in drei Gruppen einteilen, in 1. Potpourris (opp. 18.26.28.31), 2. Variationen (opp. 87.88.91.99.101.114) und 3. Fantasien über Motive aus Rossinis Opern (opp. 119.120.122.124). Auch hier dienten die Verzierungen dazu, Übergänge zwischen einzelnen Abschnitten eines Werkes zu schaffen, etwa zwischen einem Allegro und einem Grazioso im Pot-Pourri, op. 18, oder zwischen der Einleitung und dem Thema in den Grands Variations, op. 88. Die Kadenzen variierten in der Länge und im Schwierigkeitsgrad. Die Bravourkadenz in der Rossiniana Nr. 2, op. 120, ist wohl das eindrucksvollste Beispiel einer improvisierten Verzierung.
Beim Studium der Gitarrenschulen konnte man nur selten etwas über die Verzierung von Fermaten erfahren. Immerhin weist Johann Traugott Lehmann in seiner "Neue[n] Guitarre-Schule" (1820) auf die Möglichkeit hin, eine Fermate in der Mitte eines Stückes melodisch auszuschmücken: "Das (Ruhezeichen) wird oft zu Ende eines Stücks gesetzt, wo es blos den förmlichen Schluss anzeigt; hingegen in der Mitte zeigt es ein kleines Verweilen an, das durch eine willkührliche Verzierung ausgefüllt werden kann, welche man eine Cadence nennt" (Lehmann 1820, S. 4).
Einen Schritt weiter ging der Ansatz von D. Joly. In L'Art de Jouer de la Guitare (1820) stellte er neun Kadenzen in den gebräuchlichsten Tonarten vor. Die willkürlichen Verzierungen sollten fortgeschrittenen Schülern als Vorlage und Anregung für eigene Improvisationen dienen (vgl. Joly 1819, S. 61-66). Auch Francesco Molino und Pierre Joseph Plovier versahen in ihren Gitarrenschulen einige Übungsstücke mit improvisierten Verzierungen (vgl. Molino 1823, S. 57.81.85; Plouvier 1836, S. 27.48f.68f.77f.).
Dionisio Aguado wählte didaktisch einen Mittelweg zwischen Theorie und Praxis. In seiner "Escuela de Guitarra" (1825) erklärt er zunächst die Funktion der Fermate und veranschaulicht das Gesagte an einem Notenbeispiel: "Die Fermate (calderón), die über einer Note oder einem Akkord steht, zeigt eine Verzierung von Stimmen an, die nach Belieben und Geschmack des Spielers hinzugefügt werden, und diese Stimmen werden gewöhnlich durch Noten ausgedrückt" (Aguado 1825, § 341 übers.; vgl. Aguado 1826, § 341; vgl. J. M. G. y E. 1819, S. 17). In seiner "Nuevo Método para Guitarra" (1843) ging Aguado dann nicht mehr auf die Fermate und ihre Verzierung ein. Die Improvisationspraxis hatte in der Romantik an Bedeutung verloren.