Die Akzentuierung

1 Die musikalische Akzentuierung am Ende des 18. Jahrhunderts

Bereits im Zusammenhang mit dem Musikverständnis der Klassik wurde deutlich, dass Musik damals in Analogie zur Sprache als Klangrede verstanden wurde. Töne wurden als Silben aufgefasst, aus denen sich musikalische Worte und Sätze bildeten. Diese konnten in Länge und Betonung variieren. Johann Philipp Kirnberger beschreibt in seiner Abhandlung Die Kunst des reinen Satzes in der Musik (1776) den Vorgang der Verwandlung von Tönen in Wortsilben folgendermaßen: "Diese Verwandlung eines blossen Stroms von Tönen in einen der Rede ähnlichen Gesang geschieht einen Theiles durch Accente, die auf einige Töne gelegt werden, theils durch die Verschiedenheit der Länge und Kürze der Töne. (...) In der genauen Einförmigkeit der Accente, die auf einige Töne gelegt werden, und der völlig regelmäßigen Vertheilung der langen und kurzen Sylben, bestehet eigentlich der Tackt. Wenn nemlich eben dieselben schwereren oder leichteren Accente in gleichen Zeiten wiederkommen, so erhält der Gesang dadurch ein Metrum oder einen Tackt" (S. 113).

Die Betonung konnte regelmäßig sein, um den gesprochenen Wörtern und Sätzen einen gleichmäßigen Rhythmus zu geben, oder unregelmäßig, um einzelne Silben hervorzuheben. Die erste Art der Betonung nennt Kirnberger in seinem Artikel Accent. (Redende Künste.) in Johann Georg Sulzers Enzyklopädie Allgemeine Theorie der Schönen Künste (1771) den grammatischen Akzent, die zweite Art den oratorischen oder pathetischen Akzent. Heute spricht man vom metrischen und expressiven Akzent:

1. "Die grammatischen Accente in der Musik sind die langen und kräftigen Töne, welche die Haupttöne jedes Accords ausmachen und die durch die Länge und durch den Nachdruk, durch die mehrere Fühlbarkeit, vor den andern, die durchgehende, den Accord nicht angehende Töne sind, müssen unterschieden werden. Diese Töne fallen auf die gute Zeit des Takts" (S. 10).

2. "Die oratorischen und pathetischen Accente des Gesanges werden beobachtet, wenn auf die Wörter, welche die Hauptbegriffe andeuten, Figuren angebracht werden, die mit dem Ausdruk derselben überein kommen, weniger bedeutende Begriffe aber mit solchen Tönen belegt werden, die blos zur Verbindung des Gesanges dienen; wenn die Hauptveränderungen der Harmonie auf dieselben verlegt werden; wenn die kräftigsten Ausziehrungen des Gesanges, die nachdrüklichsten Verstärkungen oder Dämpfungen der Stimmen, an die Stellen verlegt werden, wo der Ausdruk es erfodert" (S. 11). 

1.1 Die metrische Akzentuierung

Im 18. Jahrhundert dominierte die metrische Betonung gegenüber der expressiven, da sich die musikalische Rhetorik stark an der antiken Verslehre orientierte. So wie die Silben eines Gedichts einem durchgehenden Metrum gehorchen, so waren die Noten eines Musikstücks an das durch die Taktart vorgegebene Metrum gebunden. Leopold Mozart stellte daher in seinem Versuch einer gründlichen Violinschule (1756) den Takt über die Melodie: "Der Tact macht die Melodie; folglich ist er die Seele der Musik. Er belebt nicht nur allein dieselbe; sondern er erhält auch alle Glieder derselben in ihrer Ordnung" (S. 27). Das bedeutete, dass die Artikulation der Melodie der Betonungsordnung des Taktes folgen musste.

Kirnbergers Schüler Johann Abraham Peter Schulz erläutert dies in seinem Artikel Vortrag. (Musik.) im zweiten Band von Sulzers Enzyklopädie Allgemeine Theorie der Schönen Künste (1774): "Hierunter werden erstlich die Töne gerechnet, die auf die gute Zeit des Takts fallen. Von diesen erhält die erste Note des Takts den vorzüglichsten Druk, damit das Gefühl des Taktes beständig unterhalten werde, ohnedem kein Mensch die Melodie verstehen würde. Nächst der ersten Taktnote werden die übrigen guten Zeiten des Takts, aber weniger stark, marquiret. Hiebey muß aber der Unterschied wol beobachtet werden, den die Einschnitte unter den Takten machen. Die erste Note eines Takts, der nur ein Theil einer Phrase ist, kann nicht so stark marquiret werden, als wenn die Phrase mit ihr anfängt, oder wenn sie der Hauptton einer Phrase ist" (S. 1249).

J. P. Kirnberger: Die Kunst des reinen Satzes in der Musik, 1776. S. 124.
J. P. Kirnberger: Die Kunst des reinen Satzes in der Musik, 1776. S. 124.

Jede Taktart hatte eine metrische Struktur. Sie bestimmte die Hierarchie der Taktschläge, wobei der erste Schlag des Taktes der stärkste und der letzte Schlag der schwächste war. Der 2/4-Takt galt als stark-schwach, der 3/4-Takt als stark-schwach-schwach und der 4/4-Takt als stark-schwach-weniger stark-schwach1. Der betonte Taktschlag wurde als Niederschlag bezeichnet, der unbetonte als Aufschlag, was sich auf das Schlagen des Taktes mit der Hand oder dem Fuß bezog. Akzentuierte Noten nannte man edle oder gute Noten, unakzentuierte schlechte Noten. Entsprechend beschrieb Kirnberger den 4/4-Takt: "In den Tacktarten von vier Zeiten ist die erste und dritte Zeit lang, die zweyte und vierte Zeit aber kurz. Erstere werden auch die guten, und letztere die schlechten Zeiten genennet. Von den langen Zeiten ist die erstere wiederum von größeren Gewicht, als die dritte" (1776, S. 124). Die Betonungsordnung des 4/4-Taktes galt nicht nur auf der Ebene des Taktes, sondern auch auf über- und untergeordneten Ebenen: 1. auf der Ebene eines einzelnen Tones, der in kleinere Töne zerlegt wurde ("Diminution"), 2. auf der Ebene eines Taktes ("Akzentstufentakt") und 3. auf der Ebene einer Taktgruppe, die in der Regel aus acht Takten bestand ("Achttaktperiode").

Das klangliche Ergebnis einer solchen, an der antiken Verslehre orientierten Artikulation war ein Orchesterklang mit leichten, hüpfenden Bogenstrichen, der besonders in der Wiener Musiktradition gepflegt wurde. So stellt der Berliner Verlagsbuchhändler Friedrich Nicolai in seiner Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz (1784) fest, dass "tokkirte Noten ... die Wienerischen Orchester mit einer Gleichheit und Präcision" spielen wie kein anderes Orchester (S. 542). Typisch für den Wiener Orchesterklang sei der leichte Bogenstrich. Ein Andante habe in Wien einen leichteren Gang als in Berlin: "Hüpfend würde zuviel gesagt seyn (...). Das französische lestement kommt vielleicht dem Sinne am nächsten" (S. 543). Und auch der Königlich Preußische Kapellmeister Johann Friedrich Reichardt weist in seinem Lehrbuch Ueber die Pflichten des Ripien-Violinisten (1776) die Orchesterviolinisten an, metrische Akzente mit leichtem Bogenstrich zu setzen: "Auch wäre es höchst fehlerhaft, wenn man das Marquiren der Noten - wovon Herr Quanz so viel sagt - jederzeit mit einem besonderen Druck des Bogens bemerken wollte. Es ist dieses weiter nichts, als das kleine Gewicht, was ein jeder der mit aufrichtigem Gefühl für den Takt spielt, schon von selbsten, ohne daran zu denken, der längeren Note giebt" (S. 28). 

Das letzte Zitat deutet bereits an, dass im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts metrische Akzente weniger stark betont wurden als in der Mitte des Jahrhunderts. Diese Tendenz setzte sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts fort. Die Dominanz der metrischen Akzentuierung gegenüber der expressiven nahm ab. So empfahl Christoph Heinrich Koch in seinem Musikalische[n] Lexikon (1802), metrische Akzente nur mit geringem Nachdruck zu setzen: "Unter dem grammatischen Accente verstehet man den fast unmerklichen Nachdruck, welchen im Vortrage einer Melodie alle auf die gute Zeit des Taktes fallenden Noten erhalten müssen" (Sp. 50). Besondere in schnellen Passagen soll nach Koch die metrische Betonung ganz in den Hintergrund treten: "Dieser grammatische Accent darf bey dem Vortrage der Passagen von gleichartigen Noten in munterer Bewegung, durchaus nicht so hervorstechend seyn, wie der oratorische oder der pathetische Accent (...); sondern er muß so fein modificirt seyn, daß er kaum merklich wird" (Sp. 51).

1.1.1 Punktierte Noten als Spezialfall der metrischen Akzentuierung

Johann Joachim Quantz stellte in seinem Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen (1752) die Regel auf, dass kurze punktierte Noten überpunktiert werden müssen: "Bey den Achttheilen, Sechzehntheilen, und Zwey und dreyßigtheilen, mit Puncten, s. (c) (d) (e), geht man, wegen der Lebhaftigkeit, so diese Noten ausdrücken müssen, von der allgemeinen Regel ab. Es ist hierbey insonderheit zu merken: daß die Note nach dem Puncte, bey (c) und (d) eben so kurz gespielet werden muß, als die bey (e); es sey im langsamen oder geschwinden Zeitmaaße. Hieraus folget, daß diese Noten mit Puncten bey (c) fast die Zeit von einem ganzen Viertheile; und die bey (d) die Zeit von einem Achttheile bekommen: weil man die Zeit der kurzen Note nach dem Puncte eigentlich nicht recht genau bestimmen kann" (S. 58).

G. S. Löhlein: Clavier-Schule, 1765. S. 69.
G. S. Löhlein: Clavier-Schule, 1765. S. 69.

Diese Regel wurde später eingeschränkt und die Fälle, in denen Noten überpunktiert werden sollten, präzisiert. Georg Simon Löhlein beispielsweise, der in seiner Clavier-Schule (1765) noch gefordert hatte, punktierte Noten wie doppelt punktierte zu spielen, ließ diese Regel in der zweiten Auflage seiner Anweisung zum Violinspielen (1781) nur noch für langsame Melodien gelten: "Und wenn in einer traurigen, auch allenfalls mäßigen und pathetischen Melodie, viele Figuren mit Punkten vorkommen, so will die Regel des Vortrags, daß man den Punkt noch um die Hälfte an seinem Werthe verlängere, und die darauf folgende Note um so viel kürzer vortrage" (S. 30). 

D. G. Türk: Klavierschule, 1789. S. 361.
D. G. Türk: Klavierschule, 1789. S. 361.

Daniel Gottlob Türk schließlich machte die Überpunktierung vom Charakter und Tempo des Musikstückes abhängig. In seiner Klavierschule (1789) heißt es: "Man pflegt nämlich bey punktirten Noten größtenteils länger zu verweilen, (und also die folgenden kurzen Noten dafür geschwinder zu spielen,) als es die Schreibart anzeigt. Z. B. Die bey b) bemerkte Ausführung der punktirten Noten wählt man gewöhnlich, wenn der Charakter des Tonstückes ernsthaft, feyerlich, erhaben sc. ist; (...). Man trägt in diesem Falle die punktirten Noten schwer, folglich ausgehalten, vor. Bey dem Ausdrucke munterer, freudiger sc. Empfindungen muß der Vortrag etwas leichter seyn, ungefähr wie bey c). Der Ausführung d) bedient man sich vorzüglich bey heftig, trotzig sc. vorzutragenden, oder staccato überschriebenen Tonstücken" (S. 361f.). 

D. G. Türk: Klavierschule, 1789. S. 362.
D. G. Türk: Klavierschule, 1789. S. 362.

"Bey gefälligen singbaren sc. Gedanken, wie unten bey e), verlängert man die punktirten Noten zwar ebenfalls ein wenig - wenn auch nicht eben so merklich -; doch werden sie sanfter (weniger accentuirt) vorgetragen. Besonders spielt man in solchen Fällen die kurzen Noten nach dem Punkte schwach und geschleift. Ist eine zweyte Stimme, etwa wie bey f), zu den punktirten Noten gesetzt, so bleibt man bey der vorgeschriebenen Eintheilung" (S. 362).

1.2 Die expressive Akzentuierung

Wie in der Dichtung die Gleichförmigkeit des Versmaßes durchbrochen werden konnte, um eine Aussageabsicht zu verstärken, so war es auch in der Musik möglich, Akzente zu setzen, die die Gleichförmigkeit des Metrums durchbrachen. Diese Akzente nannte man oratorische oder pathetische Akzente. So heißt es in Kochs Musikalische[m] Lexikon (1802): "So wie sich in der Sprache, besonders wenn der Redende mit Empfindung spricht, gewisse Sylben der Wörter durch einen besondern Nachdruck auszeichnen, wodurch hauptsächlich der Inhalt der Rede für den Zuhörer empfänglich wird, eben so müssen bey dem Vortrage einer Melodie, die eine bestimmte Empfindung enthält, gewisse Töne mit einer hervorstechenden Vortragsart ausgeführet werden, wenn die in derselben enthaltene Empfindung faßlich ausgedrückt werden soll" (Sp. 49). Die pathetischen Akzente folgten keiner allgemeinen Grammatik, sondern dienten dem subjektiven Ausdruck. Koch fährt fort: "Unter den oratorischen und pathetischen Accenten, von welchen die letzten verstärkte Grade der ersten sind, verstehet man nun eigentlich diejenigen, (...) durch welche die Melodie den ihr eigenthümlichen Ausdruck erhält. (...) Sie unterscheiden sich von den grammatischen Accenten (...) dadurch, daß sie auf keinen bestimmten Theil des Taktes eingeschränkt, sondern blos in dem Ideale des Tonsetzers, welches er durch Noten dargestellt hat, enthalten sind, in welchem sie der Geschmack des Ausführers entdecken muß" (Sp. 51f.). Expressive Akzente konnten also auch auf unbetonten Taktteilen liegen, aber nicht beliebig. Auch für die expressive Akzentuierung gab es Regeln.

J. A. P. Schulz zählt in Sulzers Allgemeine[r] Theorie der Schönen Künste (1774) die Stellen innerhalb einer Phrase auf, an denen Noten betont werden müssen, auch wenn sie auf unbetonte Taktteile fallen: lange Noten, Spitzentöne der Melodie, Dissonanzen und synkopierte Noten. "Sie sind daran kennbar, daß sie insgemein länger oder höher als die vorhergehenden und kurz darauf folgenden Töne sind; oder daß sie durch ein der Tonart, worin man ist, fremdes # oder b erhöhet oder erniedriget sind; oder daß sie frey anschlagende Dissonanzen sind; oder daß sie eine an ihnen gebundene Dissonanz prepariren: sie fallen überdem meistens auf die gute Zeit des Taktes, außer wenn ein neuer Einschnitt mit ihnen anfängt, oder wenn der Tonsezer, um sie desto nachdrüklicher zu machen, eine Verrükung vornihmt, und sie um eine Zeit zu früh eintreten läßt" (S. 1249). Der Musiktheoretiker Gottfried Wilhelm Fink fügt in seinem Aufsatz Ueber Takt, Taktarten und ihr Charakteristisches (1809) weitere Möglichkeiten hinzu, das starre Metrum eines Musikstücks aufzubrechen: „Nüanzirungen des Taktes haben wir ... genug; als da sind: längere Notengattungen, als die Taktzeiten; Punkte über und hinter den Noten; alle nuanzirenden Gefühlsaccente, als dolc., retard., < mf. etc; alle zufälligen Eintheilungen der Taktglieder und der Taktzeiten, z. B. die Veränderung der wesentlichen Zerfällung der Viertel in Achtel im 2/4 Takte in Triolen u. s. w. Alle diese Nüanzirungen des Taktes geben nun, recht angebracht, der festen und steifen Grundlage des Taktes, nebst seinem Charakteristischen, als gleichsam dem wohlzusammengefügten Balkenwerke, erst die weitere Ausbauung und Verschönerung“ (AMZ 11/1809, Sp. 228).

Die aufführungspraktischen Konventionen des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts duldeten also nicht nur, sondern forderten geradezu expressive Abweichungen vom Metrum, um Musik als lebendige Klangrede zu gestalten. Zu den Noten, die unabhängig von ihrer Position im Takt betont werden mussten, gehörten: 1. Dissonanzen, 2. melodische Spitzentöne, 3. lange Noten, 4. gebundene Noten und 5. synkopierte Noten.

1. Dissonanzen: Eine Dissonanz musste, im Gegensatz zu ihrer Auflösung, immer betont werden, auch wenn sie auf einem unbetonten Taktteil lag. Quantz erklärt dazu in seiner Flötenschule (1752): "Eben diese Erregung der abwechselnden Leidenschaften, ist auch die Ursache, warum die Dissonanzen überhaupt stärker als die Consonanzen angeschlagen werden müssen. Die Consonanzen setzen das Gemüth in eine vollkomene Ruhe, und Zufriedenheit: die Dissonanzen hingegen erwecken im Gemüthe einen Verdruß. (...) Je verdrüßlicher aber die Sache ist, welche unser Vergnügen stöhret; ie angenehmer kommt uns das darauf folgende Vergnügen vor. Je härter also der Verhalt der Dissonanzen ist; ie gefälliger ist ihre Auflösung" (S. 227). Und noch Carl Czerny stellt in seiner Pianoforte-Schule (1839) die Regel auf: "Dissonierende (das heisst: übelstimmende) Accorde werden gemeiniglich etwas stärker ausgedrückt als die nachfolgenden consonierenden (oder wohlstimmenden)" (III, S. 6). 

2. Melodische Spitzentöne: Auch melodische Spitzen mussten betont werden. In Mozarts Violinschule (1756) heißt es: "In lustigen Stücken bringt man meistens den Accent bey der höchsten Note an, um den Vortrag recht lebend zu machen. (...) Dieß läßt sich nun aber in langsamen und traurigen Stücken nicht thun: denn da muß die Auffstreichsnote nicht abgestossen, sondern angehalten und singbar vorgetragen werden" (S. 259f.).

3. Lange Noten: Lange Noten mussten ebenfalls betont werden. Mozart, Hummel und Czerny wiesen in ihren Schulen auf diese Konvention hin: "Man pflegt halbe Noten, wenn sie unter kurzen Noten vermischet sind, allemal stark anzustossen und im Tone wieder nachzulassen" (1756, S. 256). "Wenn auf das kürzere gute Takttheil ein längeres schlechtes im Gegenschlag (Aufstreich) folgt, so wird gewöhnlich auf letzteres der Nachdruck gelegt" (1828, S. 430). "Jede Note von längerem Werthe muss mit mehr Nachdruck angeschlagen werden, als die kürzere, welche ihr vorangeht oder nachfolgt" (1839 III, S. 5).

4. Die erste Note einer Legatogruppe: Die erste Note einer Legatogruppe musste akzentuiert und etwas gedehnt gespielt werden. Mozart schreibt dazu in seiner Violinschule (1756): "Die erste von zwo, drey, vier oder noch mehr zusammen gezogenen Noten soll allezeit etwas stärker angegriffen, und länger angehalten; die folgenden aber im Tone sich verlierend etwas später daran geschliffen werden. Doch muß es mit so guter Beurtheilungskraft geschehen, daß der Tact auch nicht im geringsten aus seiner Gleichheit geräth" (S. 145). Diese Regel galt auch für Noten, die auf einen schwachen Taktteil fielen, wie Türk in seiner Klavierschule (1789) betont: "In dem Beyspiele g) fällt also dieser gelinde Nachdruck, (wider die sonst zu befolgende Regel) auf die mit + bezeichneten schlechten Noten" (ebd.). Johann Peter Milchmeyer weist in seiner Klavierschule (1797) auf die expressive Funktion von Legatobindungen hin: "In der gebundenen Spielart endlich, hängt alles von den Bindungen und dem Ausdrucke ab, welchen der Componist dem Gesange des Stücks hat geben wollen, man macht hier sehr oft die schwache Zeit stark, und verändert die Finger auf derselben" (S. 8). Auch die Romantiker Hummel und Czerny bedienten sich dieser Form der expressiven Akzentuierung.

 

5. Synkopierte Noten: Bei der Synkopierung wurde der Akzent von einem betonten Taktteil auf einen unbetonten verschoben. Mozart erklärt dazu in seiner Violinschule (1756): "Eben also muß man auch jene Noten, die sonst dem Tacte nach sollten zertheilet werden, niemals abtheilen, oder die Abtheilung durch einen Nachdruck bemerken; sondern man muß sie nur anstossen und still aushalten, nicht anders, als wenn sie am Anfange des Viertheiles stünden" (S. 260). Deutlicher drückt sich Türk in seiner Klavierschule (1789) aus. Er schreibt, dass "die synkopirten Noten gleich beym Eintritte, folglich auf dem schlechten Takttheile oder Gliede sc. stark angegeben werden müssen" (S. 337). Und kurz und bündig formuliert Czerny in seiner Pianoforte-Schule (1839): "Alle synkopirten Noten müssen mit besonderem Nachdruck angeschlagen werden" (III, S. 7). 

2 Einschnittsakzentuierung und periodischer Vortrag in der Romantik

D. G. Türk: Klavierschule, 1789. S. 336.
D. G. Türk: Klavierschule, 1789. S. 336.

Unter dem Einfluss des romantischen Paradigmas trat die metrische Akzentuierung in der Musik zugunsten einer vom Takt unabhängigen Phrasenbildung zunehmend in den Hintergrund. Dieses neue, am individuellen Gefühlsausdruck orientierte Akzentuierungsverständnis findet sich in Ansätzen bereits in Türks Klavierschule (1789): "Jeder Anfangston einer Periode sc. muß einen noch merklichern Nachdruck erhalten, als ein gewöhnlicher guter Takttheil. Genau genommen sollten selbst diese Anfangstöne mehr oder weniger accentuirt werden, je nachdem sich mit ihnen ein größerer oder kleinerer Theil des Ganzen anfängt; d. h. nach einem völligen Tonschlusse muß der Anfangston stärker markirt werden, als nach einer halben Kadenz, oder blos nach einem Einschnitte u. s. w." (S. 336). Türk veranschaulicht das Gesagte durch ein Notenbeispiel, in dem er die Stärke der jeweiligen Betonung durch die Anzahl der beigefügten Kreuze angibt.

Gottfried Wilhelm Fink stellt in seinem Artikel Accent in Friedrich Gustav Schillings Encyclopädie der gesamten musikalischen Wissenschaften (1835) den Grundgedanken der romantischen Akzentuierung deutlicher dar. Er ordnete die grammatikalischen oder taktischen Akzente den Einschnittsakzenten unter: "Denn zu gleichmäßig und ängstlich stetig, maschinenmäßiger Takt bringt eine Versteifung in den Vortrag, die der Rohheit gleichkommt. Die taktischen Accente sind daher in der Regel lange nicht so scharf und stark aufzutragen, als die rhythmischen und vor allen die Einschnittsaccente der rhythmischen Glieder, welche die beiden äußersten (den taktischen und malenden) hauptsächlich in glückliche Vereinigung bringen, indem sie sich jene beiden eben genannten ihrer Herrschaft unterwerfen" (S. 36).

Die zunehmende Betonung der Phrasierung in der Frühromantik bedeutete jedoch keine Abkehr von der metrischen Akzentuierung. Johann Nepomuk Hummel und Louis Spohr gaben in ihren Instrumentalschulen einen Überblick über alle Taktarten und ihre metrischen Strukturen. Sie verdeutlichten die metrische Akzentuierung der Zweier-, Dreier- und Vierertakte durch Schlagfiguren des Dirigenten. Die erste betonte Zählzeit des 4/4-Taktes wurde vertikal nach unten geschlagen, weitere Betonungen innerhalb des Taktes wurden durch horizontale oder abwärts gerichtete Bewegungen angezeigt, unbetonte Taktteile durch Ausholbewegungen nach oben. Und Carl Czerny mahnte in seiner Pianoforte-Schule (1839): "Da es eine der ersten Pflichten des Spielers ist, den Hörer nie über die Takteintheilung in Zweifel zu lassen, so führt dieses schon von selber mit sich, dass man, wo es nöthig ist, jeden Anfang eines Takts, oder gar wohl jeden guten Takttheil durch einen kleinen Nachdruck merkbar mache. Diess ist vorzüglich nothwendig, wo die Composition hierin in Zweifel lässt" (III, S. 6). Allerdings wurde die Akzentuierung in der Frühromantik variabler und individueller gestaltet als in der Klassik, z. B. bei Wiederholungen oder schnelleren Passagen: "Wenn ein einfacher Gesang sich mehrmal wiederholt, so kann er, durch stets veränderte Accentuirung, auf sehr mannigfache Weise verändert, und dadurch immer neu und interessant erhalten werden" (III, S. 9). "Auch bei schnelleren Passagen kann der Accent einmal auf den schwereren, einmal auf den leichteren Takttheil fallen" (ebd.).

In der Hochromantik löste sich die Melodie stärker vom Takt. Man bevorzugte ein gesangliches Klangideal, weite Melodiebögen und eine weiche Klangfärbung. Tempo und Dynamik richteten sich nach dem Melodieverlauf. Die Bogenführung der Streicher wurde weicher, die Akzentuierung reduziert. Akzentuiert wurden nur die Töne, die einer musikalischen Phrase Kontur gaben. So schrieb Franz Liszt 1856 im Vorwort zu seiner Symphonischen Dichtung Prometheus: "Gleichzeitig sei mir gestattet zu bemerken, dass ich das mechanische, taktmässige, zerschnittene Auf- und Abspielen, wie es an manchen Orten noch üblich ist, möglichst beseitigt Wünsche, und nur den periodischen Vortrag, mit dem Hervortreten der besonderen Accente und der Abrundung der melodischen und rhythmischen Nuancirung, als sachgemäss anerkennen kann" (S. 3).

3 Die Akzentuierung in der klassischen und romantischen Gitarrenmusik

In den Gitarrenschulen des frühen 19. Jahrhunderts wurde das Thema der richtigen Akzentuierung kaum behandelt. Die meisten Schulen richteten sich an Anfänger und vermittelten bestenfalls musikalische Grundkenntnisse. Wer sich weitergehende Kenntnisse aneignen wollte, musste Gitarrenunterricht nehmen. Dennoch finden sich in einigen Gitarrenschulen Hinweise zur metrischen und expressiven Akzentuierung.

3.1 Die metrische Akzentuierung

Jede Gitarrenschule, die eine Einführung in die allgemeine Musiklehre enthielt, behandelte auch die Taktarten. In der Regel wurde zwischen geraden und ungeraden Taktarten unterschieden und die gebräuchlichsten Taktarten vorgestellt. Umfangreichere Gitarrenschulen unterschieden zusätzlich zwischen einfachen und zusammengesetzten Taktarten und stellten seltene Taktarten vor. Den Gitarrenpädagogen ging es in erster Linie darum, Anfängern ein sicheres Taktgefühl zu vermitteln. In den deutschen Gitarrenschulen wurde das Thema der metrischen Betonung fast völlig ausgeblendet. Offensichtlich wollte man die Anfänger nicht mit zu viel Musiktheorie belasten. Eine Ausnahme war August Harder. In seiner Guitarre-Schule (1813) ging er ausführlich auf die metrische Struktur der Taktarten ein und erläuterte ihre Funktion: "So fällt im Zweivierteltakt dieses natürliche Tongewicht auf das erste Viertel; das zweite hingegen wird nicht accentuirt. Im Viervierteltakt bekommt das erste und dritte Viertel den Accent; doch das dritte schon etwas weniger. Im Dreiachteltakt wird blos das erste Achtel accentuirt; im Sechsachteltakt das erste punctirte Viertel u. s. f. - Die accentuirten Noten nennt man auch: gute, oder auch: innerlich lange Noten, so wie die nicht-accentuirten: schlechte, oder auch: innerlich kurze heissen. Beide sind in der Musik gleichsam das, was in der Dichtkunst die langen und kurzen Sylben sind. - Auch die Anfangs-Noten eines Takttheils und einer musikalischen Figur bekommen einen gelinden Accent" (S. 25).

J.-R. Meissonnier: Méthode de Guitare ou Lyre, 1823. S. 3.
J.-R. Meissonnier: Méthode de Guitare ou Lyre, 1823. S. 3.

In den italienischen und spanischen Gitarrenschulen wurde der metrischen Akzentuierung mehr Aufmerksamkeit geschenkt, wenn auch weniger in der Theorie als in der Praxis. Zusammen mit der Taktart wurde in der Regel auch die Anzahl der Niederschläge und Aufschläge angegeben, die mit der Hand oder während des Spiels durch Fußbewegungen ausgeführt werden konnten. So wusste der Anfänger intuitiv, wann er zu betonen hatte und wann nicht. Zu nennen sind hier die Gitarrenschulen von Federico Moretti, Bartolomeo Bortolazzi, Francesco Molino, Ferdinando Carulli, Luigi Legnani sowie von J. M. G. y E. und Dionisio Aguado. In Paris hatten die Franzosen Charles Lintant und Jean-Racine Meissonnier die Idee, den Zweier-, Dreier- und Vierertakt durch die Schlagfiguren des Dirigenten zu veranschaulichen. In ihren Schulen von 1822 und 1823 versahen sie Notenbeispiele mit den Nummern der Schlagfiguren, damit ein Anfänger sehen konnte, welche Taktteile zu betonen waren. Charles de Marescot und Matteo Carcassi übernahmen diese Idee in ihre Methoden2.

In Wien benutzte Francesco Bathioli die Schlagfiguren zur Veranschaulichung der metrischen Gewichtung der Töne. In seiner Gemeinnützige[n] Guitareschule (1825) versah er sie mit ausführlichen Erklärungen, um das praktisch Gelernte gedanklich zu festigen. So stellte er klar, dass ein Takt nicht nur aus gleichmäßigen Grundschlägen besteht, sondern auch einem festen Betonungsschema folgt: "Der Anfang des Taktes, welcher immer mit dem Niederschlage (auf griechisch: Thesis genannt) gemacht wird, nennt man die gute Zeit oder den starken Takttheil. Das Ende des Taktes hingegen nennt man die schlechte Zeit oder den schwachen Takttheil, welcher immer mit dem Aufschlage (auf griechisch: Arsis genannt) bezeichnet wird" (I/1, S. 16). Die Schlagfiguren hatten für ihn die Funktion, sowohl die Anzahl der Taktschläge als auch deren Betonung durch Niederschlag und Aufschlag sichtbar zu machen: "Um aber jeden Schlag von andern genauer zu unterscheiden, gibt man diese Taktart mit der Hand, oder wenn sie beschäftigt ist, mit dem rechten Fuße" (ebd.). Zur Vertiefung verwies Bathioli auf Kirnbergers Abhandlung Die Kunst des reinen Satzes in der Musik (1776). Auch in den Wiener Gitarrenschulen von Franz Gregor Seegner und Johann Kaspar Mertz finden sich kurze Übersichten über die Schlagfiguren. 

Man könnte meinen, dass mit Beginn der Romantik die metrische Akzentuierung in der Gitarrenmusik zugunsten einer rein expressiven Phrasierung in den Hintergrund trat. Die Gitarrenschulen geben jedoch keinen Hinweis darauf, dass sich die musikalische Phrasierung vom Metrum emanzipiert hätte. So forderte Mrs. Joseph Kirkman in ihrer Improved Method for the Guitar (1842) auch für ein expressives Rubato-Spiel "a strict observance of the true Time, and a due regard to the accented part of each bar" (S. 29). Und Dionisio Aguado leitete in seiner Gitarrenschule von 1843 den Abschnitt über den musikalischen Ausdruck mit Erläuterungen zur klassischen Achttaktperiode ein. Er unterteilte sie in Sätze (frases), Gedanken (ideas) und Takte (compases). Jede dieser musikalischen Einheiten musste in der Ausführung metrisch gewichtet werden, um als solche wahrgenommen zu werden. Zu den Takten führte er aus: "Die Bedeutung des Gedankens kann auch unterteilt werden, indem man das Forte und das Piano auf die einzelnen Teile eines Taktes anwendet, das heißt auf jeden Schlag und sogar auf jeden Halbschlag. Die Richtschnur hierfür ist der Ausdruck, den man der Musik geben will, diktiert von gutem Geschmack und Feingefühl" (II, 70f. übers.). Zumindest auf der verbalen Ebene wurde die metrische Betonung zur Gefühlssache. In der Praxis folgte sie einem festen Schema.

M. Giuliani: Studio per la Chitarra, 1812. S. 31.
M. Giuliani: Studio per la Chitarra, 1812. S. 31.

Neben der Möglichkeit, betonte und unbetonte Taktteile durch Abwärts- und Aufwärtsbewegungen der Hand oder des Fußes anzuzeigen, gab es noch eine andere, wesentlich praktischere Methode, nämlich den Fingersatz der Anschlagshand so zu wählen, dass auf natürliche Weise metrische Akzente gesetzt werden konnten. Nicht wenige Gitarrenschulen enthielten Übungsstücke mit Fingersätzen, die Hinweise auf die richtige Betonung der Stücke gaben. Die Autoren bedienten sich einer Spieltechnik, die von den Lautenisten der Renaissance entwickelt worden war. Die Lautenisten nutzten das Gewicht der einzelnen Finger, um die natürlichen Akzente des Taktes hervorzuheben. Wurde beispielsweise eine Saite abwechselnd mit dem Daumen und dem Zeigefinger angeschlagen, so entstand ein Klang, der aus einem Wechsel von starken und schwachen Akzenten bestand. Dasselbe geschah, wenn man abwechselnd den Mittelfinger und den Zeigefinger benutzte. Bei der Wahl des Fingersatzes folgte man der Regel des stärksten Fingers: Bei betonten Zählzeiten wurden die Saiten mit dem Daumen oder Mittelfinger angeschlagen, bei unbetonten Zählzeiten mit dem Zeigefinger. Ein Notenbeispiel aus Mauro Giulianis Studio per la Chitarra (1812) zum Wechselschlag veranschaulicht das Gesagte. In der Praxis konnte der Wechselschlag jedoch nicht immer ausgeführt werden. Manchmal musste ein Finger zweimal hintereinander oder ein dritter Finger eingesetzt werden. 

F. Carulli: Méthode Complette de Guitarre ou Lyre, 1810. S. 22.
F. Carulli: Méthode Complette de Guitarre ou Lyre, 1810. S. 22.

Als Alternative zum Wechselschlag konnte die Legato-Technik verwendet werden, um die starken Taktteile einer musikalischen Phrase zu betonen. Ferdinando Carulli wandte diese Technik in seiner Méthode Complette de Guitarre ou Lyre (1810) an. Er verband die Noten paarweise durch Schleifer. Die Note, die auf den starken Teil des Taktes fiel, wurde gezupft, während die Note, die auf den schwachen Teil des Taktes fiel, an diese gebunden wurde. Carulli benutzte die Legato-Technik aber auch, um expressive Akzente zu setzen, indem er die auf die schwachen Taktteile fallenden Noten betonte. 

F. Sor: Guitarre-Schule. 1831. Ex. 31.
F. Sor: Guitarre-Schule. 1831. Ex. 31.

Unter den Gitarristen des frühen 19. Jahrhunderts war Fernando Sor der einzige, der sich explizit mit der funktionalen Bedeutung des Fingersatzes für die metrische Akzentuierung auseinandersetzte. Wie die Lautenisten früherer Zeiten benutzte er hauptsächlich Daumen, Zeige- und Mittelfinger zum Anschlagen der Saiten. In seiner Guitarre-Schule (1831) erklärt er dazu: "Dieser Fingersatz hat nicht allein zum Zweck, die Zahl der Finger so viel als möglich zu sparen, sondern auch, mein Verfahren zum Ausdruck des musikalischen Accents zu machen, welcher nichts anders ist, als der Anfang eines jeden der aliquoten Theile des Tactes" (S. 23). Sor wählte den Fingersatz der Anschlagshand so, dass die Saiten bei betonten Zählzeiten mit dem Daumen und bei unbetonten Zählzeiten mit dem Zeige- oder Mittelfinger angeschlagen wurden. Das Notenbeispiel Nr. 31 der Gitarrenschule oder auch die Übung op. 35, Nr. 19 verdeutlichen diese Vorgehensweise.

J. K. Mertz: Schule für die Guitare, 1848. S. 11.
J. K. Mertz: Schule für die Guitare, 1848. S. 11.

In der Romantik war die Wahl des Fingersatzes weniger an die metrische Akzentuierung gebunden und flexibler. Der übliche Fingersatz p - i oder m - i konnte durch i - m ersetzt werden. Es wurde mehr Wert auf einen gleichmäßigen Anschlag gelegt, der flexibel expressive Akzente setzen konnte. So ließ Dionisio Aguado seine Schüler die Tonleitern mit nur einem Finger spielen, um gleichmäßige Töne zu erzeugen, und Johann Kaspar Mertz wies zu Beginn des praktischen Teils seiner Gitarrenschule darauf hin, bei den Übungen auf einen vollen und gleichmäßigen Anschlag zu achten. Es gab aber auch Gitarristen wie Pierre Joseph Désiré Plouvier, die den Fingersatz so wählten, dass sie auf natürliche Weise metrische Akzente setzen konnten und deshalb vorwiegend mit Daumen, Zeige- und Mittelfinger spielten.

3.2 Die expressive Akzentuierung

In Bezug auf die expressive Akzentuierung beschränkten sich die Gitarrenautoren darauf, im Rahmen einer allgemeinen Musiklehre die gebräuchlichen Begriffe, Abkürzungen oder Zeichen für Akzentuierungen aufzulisten. Genannt wurden: Rinforzando (Rinf., rf), Sforzando/Sforzato (sfz, sf), Forte piano (fp.) oder das Zeichen > über oder unter der Note. Sie gingen davon aus, dass die Komponisten die Stellen markierten, an denen expressive Akzente gesetzt werden sollten. Um genauere Aussagen über die damalige Akzentuierungspraxis machen zu können, ist es daher unumgänglich, Gitarrenwerke dieser Zeit zu analysieren.

Der einzige Gitarrist, der das Thema der Akzentuierung in seinen Schulen ausführlich behandelte, war Dionisio Aguado. In seiner Escuela de Guitarra (1825) widmete er den Ausdruckszeichen ein eigenes Kapitel: "Der Komponist verlangt, dass einige Töne stark, andere von mäßiger Energie und wieder andere mehr oder weniger schwach sind. Zu diesem Zweck wird ein Teil der italienischen Worte, die gewöhnlich in Abkürzungen geschrieben sind, unter die Noten gesetzt, damit der Ausführende ihnen den entsprechenden Grad der Stärke geben kann" (I, S. 23 übers.). Die Akzente dienten, wie Aguado später erklärte, dazu, den Noten eine besondere Bedeutung zu verleihen, ähnlich wie hervorgehobene Schlüsselwörter in einer Rede. Der Spanier ging aber auch auf Fälle ein, in denen es keine Vortragsanweisungen gab. So forderte er, synkopierte Noten immer zu betonen, auch wenn sie auf einen unbetonten Taktteil fielen.

D. Aguado: Nuevo Método para Guitarra, 1843. Secc. II, S. 23.
D. Aguado: Nuevo Método para Guitarra, 1843. Secc. II, S. 23.

In seinem Hauptwerk Nuevo Método para Guitarra (1843) ermutigte Aguado seine Schüler zu einem freieren Umgang mit der Akzentuierung. So ließ er sie Übungsstücke mit gebundenen Notenpaaren spielen, bei denen entgegen der Konvention die zweite Note akzentuiert wurde, oder mit Legatogruppen, bei denen der Akzent zunächst auf die erste und bei der Wiederholung auf die dritte, vierte oder fünfte Note gelegt werden sollte. Er relativierte auch das Betonungsschema der klassischen Achttaktperiode: "... man muss auch die Richtung berücksichtigen, die die Noten der einzelnen Gesangsstimmen im Satz haben: wenn sie steigen, wird der Ton in der Regel verstärkt, ebenso wie er abschwächt wird, wenn sie fallen. Diese Überlegung gilt auch für jeden Gedanken, unbeschadet der Tatsache, dass die Noten, die auf die erste Zeit fallen, stärker zu spüren sein müssen als die der zweiten" (II, S. 70 übers.). Damit näherte sich Aguado dem an, was Franz Liszt periodischen Vortrag nannte, und bereitete den Weg für die romantische Gitarrenmusik.


Anhang

1 Anmerkungen

1 Die zweite Zeit im Dreiertakt konnte, wie Kirnberger an einem Notenbeispiel erläuterte, je nach dem Charakter des Stückes mal stark, mal schwach ausfallen"Diese Tripeltaktarten kommen alle darin mit einander überein, daß man bey jeder drey Zeiten auf den Tackt fühlet, davon die erste allezeit lang, die dritte kurz ist. Die zweyte kann, nach Beschaffenheit des Stücks lang, oder kurz seyn. Nemlich in schweren Taktarten und ernsthaften Stücken wird sie gewöhnlich lang, wie in den Chaconnen und in vielen Sarabanden: in leichten Taktarten aber wird diese zweyte Zeit leicht. Diese doppelte Behandlung der zweyten Zeit im Tripeltakt wird durch folgende Beispiele erläutert. Im ersten Beyspiel fällt eine zufällige Dissonanz, die nur auf schwere Taktzeiten kommen kann, auf das zweyte Viertel: im zweyten fällt der Schluß auf dasselbe, folglich ist es hier ebenfalls lang: im dritten Beyspiel aber ist es leicht" (1776, S. 131).

2 Die Abwärts- und Aufwärtsbewegungen der taktgebenden Hand hießen im Italienischen battere und levare, im Spanischen dar und alzar, im Französischen frapper und lever.

2 Literaturverzeichnis

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V: 17.03.2022

LA: 21.11.2024

Autor: Dirk Spönemann