Die Artikulation

1 Tempo, Taktart und Artikulation

Im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert war die Artikulation, also die Art und Weise, wie aufeinanderfolgende Töne miteinander verbunden werden, eng mit der musikalischen Bewegung eines Stückes, dem Tempo, verbunden. Dementsprechend wurden die drei Artikulationsformen Stakkato, Non-Legato und Legato den drei Grundtempi Allegro, Andante und Adagio zugeordnet.

Johann Joachim Quantz (1697-1773) teilte in seinem "Versuch einer Anweisung, die Flöte traversière zu spielen" (1752) die Tempi in zwei Gruppen ein: schnelle Tempi, die er unter den Oberbegriff "Allegro" stellte, und langsame Tempi, die er unter den Oberbegriff "Adagio" subsumierte. Allegro-Sätze sollten nach Quantz im Stakkato gespielt werden, um die Lebhaftigkeit der Sätze zum Ausdruck zu bringen: "Die geschwinden Passagien müssen vor allen Dingen im Allegro rund, proper, lebhaft, articuliret, und deutlich gespielet werden" (Quantz 1752, S. 111). Dabei sollte das lebhafte Tempo immer im Dienste des Affekts stehen und niemals zum Selbstzweck werden: "Bey aller Lebhaftigkeit, so zum Allegro erfordert wird, muß man sich dessen ungeachtet niemals aus seiner Gelassenheit bringen lassen. Denn alles was übereilet gespielet wird, verursachet bey den Zuhörern eher eine Aengstlichkeit als Zufriedenheit" (ebd. S. 113). Adagio-Sätze hingegen sollten sanft, weich und im Legato gespielt werden, um die Zärtlichkeit und Traurigkeit der Sätze zum Ausdruck zu bringen: "Ein wahres Adagio muß einer schmeichelnden Bittschrift ähnlich seyn" (ebd. S. 138). "Im Adagio müssen alle Noten, so zu sagen, caressiret und geschmeichelt, aber niemals mit der Zunge hart angestoßen werden" (ebd. S. 141). Carl Philipp Emanuel Bach (1714-1788) brachte Quantz' Artikulationslehre auf die kurze Formel: "Die Lebhaftigkeit des Allegro wird gemeiniglich in gestossenen Noten und das Zärtliche des Adagio in getragenen und geschleiften Noten vorgestellet" (Bach 1753, S. 118; vgl. Mozart 1756, S. 262; Türk 1789, S. 354; Hummel 1828, S. 418).

In Quantz' Artikulationslehre wurden gemäßigte Tempi nicht berücksichtigt. Offensichtlich war es überflüssig, darauf hinzuweisen, dass für gemäßigte Tempi eine gemäßigte Artikulationsform gilt. Es galt als selbstverständlich, dass in einem Stück, das die Tempobezeichnung Andante trug, die Töne weder gestoßen noch gebunden, sondern non-legato, kaum merklich voneinander abgesetzt, gespielt werden mussten. Heinrich Christoph Koch (1749-1816) schrieb über das Andante: "Mit diesem Ausdrucke wird diejenige Bewegung des Zeitmaaßes angezeigt, die zwischen dem Geschwinden und Langsamen die Mitte hält. (...) so behaupten mehrentheils die Tonstücke, die mit diesem Ausdrucke überschrieben sind, den Charakter der Gelassenheit, der Ruhe und Zufriedenheit. Hier werden also die Töne weder so schleppend und in einander schmelzend vorgetragen, wie in dem Adagio, noch so scharf accentuirt und abgestoßen, wie im Allegro; alles ist hier gemäßiget, selbst die Stärke des Tones verlangt ... Mäßigung" (Koch 1802, S. 142f.). Aus heutiger Sicht glich das im 18. Jahrhundert gespielte Non-Legato eher dem Stakkato. Ein Zitat aus Bachs Klavierschule macht deutlich, wie kurz die Noten damals im Non-Legato gespielt wurden: "Die Noten, welche weder gestossen noch geschleifft noch ausgehalten werden, unterhält man so lange als ihre Hälffte beträgt (...). Diese Art Noten sind gemeiniglich die Achttheile und Viertheile in gemäßigter und langsamer Zeit-Maasse, und müssen nicht unkräftig, sondern mit einem Feuer und ganz gelinden Stosse gespielt werden" (Bach 1753, S. 127).

Einen anderen Ansatz als Quantz verfolgten Johann Philipp Kirnberger (1721-1783) und Johann Abraham Peter Schulz (1747-1800). Sie unterschieden bei der Artikulation zwischen einem "schweren" und einem "leichten Vortrag" und bezogen sich dabei auf die Taktart und die Stärke des Vortrags. So wies Kirnberger in seiner Abhandlung "Die Kunst des reinen Satzes in der Musik" (1774-79) darauf hin, "daß längere Notengattungen allezeit schwerer und nachdrücklicher vorgetragen werden, als kürzere, daß folglich ein Stück, das schwer und nachdrücklich vorgetragen werden soll, nur in langen Notengattungen, und ein anderes, das leicht und tändelnd vorgetragen werden soll, nur in kurzen Notengattungen gesetzt werden kann" (Kirnberger 1776, S. 116). Und Schulz stellte in seinem Artikel "Vortrag" in Sulzers "Allgemeine[r] Theorie der schönen Künste" (1771-74) fest, dass die "Schweere oder Leichtigkeit ... größtentheils aus der Taktart des Stüks bestimmt" werde: "Je größer die Notengattungen der Taktart sind, je schweerer ist der Vortrag, und je leichter, je kleiner sie sind." Allerdings relativierte er seinen Ansatz, indem er Tempo und Notenwerte hinzuzog, um die Schwere oder Leichtigkeit des Vortrags zu bestimmen: "Wir merken hier nur noch an, daß man auch auf die Bewegung und Notengattungen des Stüks sehen muß, um dem Vortrag den gehörigen Grad der Schweere oder Leichtigkeit zu geben. Der 3/8 Takt z. B. hat einen leichten Vortrag, ist aber ein Stük in dieser Taktart mit adagio bezeichnet, und mit Zwey und dreyßigtheilen angefüllt, denn ist der Vortrag desselben schweerer, als er ohne dem seyn würde, aber nicht so schweer, als wenn dasselbe Stük im 3/4 Takt gesezt wäre. Ferner muß man aus der Beschaffenheit oder dem Zusammenhang der Melodie solche Stellen oder Phrasen bemerken, die vorzüglich schweer oder leicht vorgetragen seyn wollen; dadurch wird der Ausdruk verstärkt und dem Ganzen eine angenehme Schattirung gegeben. Nur in strengen Fugen und Kirchenstüken fällt diese Schattirung weg, weil sie sich nicht wol mit der Würde und der Erhabenheit des Ausdruks derselben verträgt. In solchen Stüken wird jede Note, nachdem die Taktart ist, gleich fest und nachdrüklich angegeben. Ueberhaupt wird jede Taktart in der Kirche schweerer vorgetragen, als in der Cammer, oder auf dem Theater; auch kommen die ganz leichten Taktarten in guten Kirchenstüken nicht vor" (Sulzer 1774, Sp. 1253f.).

Daniel Gottlob Türk (1750-1813) entwickelte in seiner "Klavierschule" (1789) eine Synthese beider Ansätze. Einerseits folgte er Kirnberger und Schulz und bestimmte die Schwere bzw. Leichtigkeit eines Vortrages anhand von fünf Kriterien: "Ob der Vortrag schwer oder leicht seyn muß, das läßt sich 1) aus dem Charakter und der Bestimmung eines Tonstückes (§. 45.) 2) aus der angezeigten Bewegung, 3) aus der Taktart, 4) aus den Notengattungen, 5) aus der Fortschreitung derselben u.s.w. beurtheilen" (Türk 1789, S. 359). Andererseits widersprach er ihrer Ansicht, dass sich die Begriffe "schwer" und "leicht" auf die Stärke des Vortrags bezögen. Nach Türk gaben die Begriffe an, ob die Töne gebunden oder abgesetzt gespielt werden sollten: "Die §. 36 - 42. angezeigten Mittel sind es vorzüglich, durch welche der schwere oder leichte Vortrag bewirket wird. Bey einem schweren Vortrage muß nämlich jeder fest (nachdrücklich) angegeben und bis zur völlig verflossenen Dauer der Noten ausgehalten werden. Leicht heißt also der Vortrag, wenn man jeden Ton mit weniger Festigkeit (Nachdruck) angiebt, und den Finger etwas früher, als es die Dauer der Noten bestimmt, von den Tasten abhebt. Zur Vermeidung eines Mißverständnisses muß ich hierbey noch anmerken, daß sich die Ausdrücke schwer und leicht überhaupt mehr auf das Aushalten und Absetzen der Töne, als auf die Stärke und Schwäche derselben beziehen. Denn in gewissen Fällen z. B. in einem Allegro vivo, scherzando, Vivace con allegrezza &c. muß zwar der Vortrag ziemlich leicht, (kurz) aber dabey doch mehr oder weniger stark seyn; da hingegen ein Tonstück von traurigem Charakter z.B. ein Adagio mesto, con afflizzione &c. zwar geschleift und folglich gewissermaßen schwer, dessen ungeachtet aber nicht eben stark vorgetragen werden darf. Indeß ist allerdings in den meisten Fällen beydes, schwer und stark sc. mit einander verbunden" (ebd. S. 358f.; vgl. Schubert 1804, S. 130-132).

2 Das Non-Legato als Standardartikulation in der Wiener Klassik

Das Non-Legato war die Standardartikulation zur Zeit der Wiener Klassik. Als gemäßigte Artikulationsform lag es in der Mitte zwischen den Extremen und entsprach damit am ehesten dem klassischen Harmonieideal. Zudem erfüllte es die wichtigste Forderung der antiken Rhetorik an einen Vortrag: die Deutlichkeit (perspicuitas). Die "Deutlichkeit" war ein wesentliches Merkmal der Musik als Klangrede und nach Sulzer "das erste, was bey dem guten Vortrag zu beobachten ist" (Sulzer 1774, S. 1248).

Da die Non-Legato-Artikulation der Normalfall war, brauchte sie im Notentext nicht durch Vortragszeichen hervorgehoben zu werden. Friedrich Wilhelm Marpurg (1718-1795) und Johann Friedrich Reichardt (1752-1814) bemerkten dazu: "Sowohl dem Schleifen als Abstossen ist das ordentliche Fortgehen entgegen gesetzet, welches darinnen besteht, daß man ganz hurtig kurz vorher, ehe man die folgenden Note berühret, den Finger von der vorgergehenden Taste aufhebet. Dieses ordentliche Fortgehen wird, weil es allezeit vorausgesetzt wird, niemahls angezeiget" (Marpurg 1755, S. 29). "Bey denen aufeinander folgenden, kurzen, begleitenden Noten hat man zu merken, daß, wenn sie so ohne Zeichen stehen, wie hier, sie kurz, aber nicht scharf gespielt werden, das heißt der Bogen bleibt, nachdem die Note kurz angestrichen ist, auf der Saite ruhen, soll der Bogen aber ganz von den Saiten abgehoben werden, so muß erst das gewöhnliche Zeichen zum Stoßen dabey stehen" (Reichardt 1776, S.23f.). Dies bedeutete jedoch nicht, dass bei fehlenden Artikulationszeichen non legato gespielt werden musste. Vielmehr durfte bei fehlenden Artikulationszeichen die Artikulation nach bestimmten Regeln variiert werden. Leopold Mozart betonte: "Man muß also nicht nur die hingeschriebenen und vorgezeichneten Schleifer genauest beobachten: sondern wenn in mancher Composition gar nichts angezeiget ist; so muß man das Schleiffen und Stossen selbst schmackhaft und am rechten Orte anzubringen wissen" (Mozart 1756, S. 258f.).

Auch in der Zeit um 1800 war das Non-Legato, wie Türk feststellt, die "gewöhnliche" Artikulationsform. Allerdings wurden die Töne nicht mehr so scharf gegeneinander abgegrenzt, wie es noch zu Bachs Zeiten üblich war: "Bey den Tönen, welche auf die gewöhnliche Art d. h. weder gestoßen noch geschleift, vorgetragen werden sollen, hebt man die Finger ein wenig früher, als es die Dauer der Note erfordert, von den Tasten" (Türk 1789, S. 356).

3 Das Legato als Standardartikulation in der Romantik

Mit dem Aufkommen der Romantik änderte sich das musikalische Paradigma. Man orientierte sich nicht mehr an der klaren und deutlichen Artikulation der Wortsprache. Vielmehr verstand man die Musik als Sprache des Herzens, die jenseits der Worte das innerste Gefühlsleben auszudrücken vermag. Wilhelm Heinrich Wackenroder (1773-1798) verglich das Gefühlsleben mit einem "geheimnißvollen Strome in den Tiefen des menschlichen Gemüthes" (Wackenroder 1799, S. 193f.). Um diesen geheimnisvollen Strom des Gefühls musikalisch auszudrücken, spielten die Romantiker die Melodien im Legato, so dass sie als Einzeltöne der Melodie nicht mehr deutlich hervortraten und der Eindruck einer fließenden melodischen Linie entstand. 

Eine erste Hinwendung zum Legatospiel findet sich in Milchmeyers Klavierschule "Die wahre Art das Pianoforte zu spielen" (1797). Obwohl Milchmeyer das Non-Legato als die "gewöhnliche Spielart" bezeichnete, empfahl er den Pianisten das gebundene SpielAuch seine Charakterisierung der Artikulationsformen tendierte so sehr zum Legatospiel, dass man seine Einteilung der Artikulationsarten, gemessen an den Maßstäben des 18. Jahrhunderts, als Non-Legato, Legato und Legatissimo verstehen musste: "Nun will ich die verschiedenen Spielarten, deren ich drei annehme, zergliedern, und deutlicher aus einander setzen. Ich nenne die erste die gewöhnliche, oder natürliche, die zweyte, die gebundene, und die dritte, die abgestoßene Spielart. In Stücken guter Komponisten … sind alle Noten, welche keine Punkte, Striche, oder kleine Bögen über sich haben, von der natürlichen Spielart. Bey ihrem Spielen hebt man den Finger der ersten Taste auf, wenn die zweite angeschlagen ist, den Finger der zweyten, wenn die dritte gespielt ist, und so weiter. Nie dürfen, bey dieser gewöhnlichen Spielart, in einem einfachen Gange zwey Finger auf einmal liegen. (...) Die gebundene Spielart, welche man bey wenigen Noten mit einem kleinen Halbzirkel, bey mehrern Takten aber durch einen vorn und hinten etwas gebogenen Strich, bezeichnet, verlangt ein weiches gleichsam schmelzendes Spiel. Alle Spieler des Pianoforte sollten überhaupt, um des Instruments willen, die gebundene Spielart wählen, da geklopfte und gleichsam gehackte Noten für dasselbe gar nicht passen, sondern man ihm vielmehr auf eine zarte Art schmeicheln muss. Doch hat alles seine Ausnahmen, so liebe ich z. B. diese gebundene Spielart nicht in den Läufen, in den chromatischen und verschiedenen andern Gängen des Baßes, weil das lange Nachsingen der stärkern Saiten übel lautende Töne verursacht. Solche Gesänge aber, welche blos die wahren Noten des Accords enthalten, sie mögen wohl oder übel lautend seyn, werden durch diese Spielart vollkommen. Sie macht den Ton des Pianoforte weich und gleichsam sammetartig, und man kann dadurch die obern Töne dieses Instruments, welche zu einer gewissen Härte und Trockenheit geneigt sind, versüßen und erweichen. (...) Diese Spielart verlangt nun, daß man die Finger etwas länger, und auf mehreren Noten liegen lasse (...). Die abgestoßene Spielart, bey der man jede Note von der andern absondert, ist mit kleinen Pünktchen oder Strichen über den Noten bezeichnet, und verlangt ein Pianoforte das alle Noten vollkommen dämpft, besonders die unteren Baßnoten. (...) Was bey dieser abgestoßenen Spielart besonders zu bemerken ist, besteht denn darinnen, daß jede Note nur ihren halben Werth zum Fortsingen erhalten darf" (Milchmeyer 1797, S. 5-7).

In der Romantik löste das Legato das Non-Legato als Standardartikulation ab. Carl Czerny empfahl in seiner "Pianoforte-Schule" (1839), bei fehlenden Artikulationszeichen legato zu spielen: "Das gewöhnliche Legato wird durch Bindungen angezeigt, muss aber auch überall angewendet werden, wo der Autor gar nichts andeutete. Denn in der Musik ist das Legato die Regel, und alle übrigen Vortrags-Arten nur die Ausnahmen" (Czerny 1839 III, S. 16).

4 Artikulationszeichen im Notentext

H. C. Koch: Musikalisches Lexikon. 1802. Sp. 45f.
H. C. Koch: Musikalisches Lexikon. 1802. Sp. 45f.

Im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert wurden Noten, die nicht non legato gespielt werden sollten, mit Artikulationszeichen versehen. Das Legato ("Schleifen") wurde mit einem Bogen notiert, das Stakkato ("Stoßen") mit Punkten, senkrechten Strichen oder mit Pausenzeichen: "Bey einer Folge von gleichartigen Noten, z.B. bey einer Folge von Vierteln oder Achteln, bedienen sich die Tonsetzer, wenn die Töne abgestoßen werden sollen, sehr oft, anstatt der darüber zu setzenden Punkte oder Striche, des Mittels, sie durch Pausen zu trennen, und schreiben die Sätze bey Fig. 1 und 2, so, wie bey Fig. 3 und 4" (Koch 1802, Sp. 46; vgl. Bach 1753, S. 125f.).

L. Mozart: Versuch einer gründlichen Violinschule. 1756. S. 140.
L. Mozart: Versuch einer gründlichen Violinschule. 1756. S. 140.

Ein Legatobogen wurde notiert, wenn mehrere Töne ohne Pause aneinander gebunden werden sollten. Der erste Ton einer Bindung wurde in der Regel betont und leicht gedehnt, der letzte Ton verkürzt und unbetont gespielt. C. P. E. Bach wies in seinem "Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen" (1753) auf diese musikalische Konvention hin: "Die Noten welche geschleift werden sollen, müssen ausgehalten werden (...). Dieses Ziehen dauert so lange als der Bogen ist. Bey Figuren von 2 oder 4 solcher Noten, kriegt die erste und dritte einen etwas stärckern Druck, als die zweite und vierte, doch so, daß man es kaum mercket. Bey Figuren von drei Noten kriegt die erste diesen Druck. Bey andern Fällen kriegt die Note diesen Druck, wo der Bogen anfängt" (Bach 1753, S. 125f.). In ähnlicher Weise formulierte Mozart in seiner Violinschule: "Die erste von zwo, drey, vier oder noch mehr zusammen gezogenen Noten soll allezeit etwas stärker angegriffen, und länger angehalten; die folgenden aber im Tone sich verlierend etwas später daran geschliffen werden. Doch muß es mit so guter Beurtheilungskraft geschehen, daß der Tact auch nicht im geringsten aus seiner Gleichheit geräth" (Mozart 1756, S. 145). 

D. G. Türk: Klavierschule. 1789. S. 355.
D. G. Türk: Klavierschule. 1789. S. 355.

Türk und Milchmeyer fügten hinzu, dass die erste Note einer Bindung auch dann betont werden muss, wenn sie auf einen schwachen Taktteil fällt: "In dem Beyspiele g) fällt also dieser gelinde Nachdruck, (wider die sonst zu befolgende Regel) auf die mit + bezeichneten schlechten Noten" (Türk 1789, S. 355). "In der gebundenen Spielart endlich, hängt alles von den Bindungen und dem Ausdrucke ab, welchen der Componist dem Gesange des Stücks hat geben wollen, man macht hier sehr oft die schwache Zeit stark, und verändert die Finger auf derselben" (Milchmeyer 1797, S. 8; vgl. Koch 1802, Sp. 893).

J. N. Hummel: Anweisung zum Piano-Forte-Spiel. 1828. S. 431.
J. N. Hummel: Anweisung zum Piano-Forte-Spiel. 1828. S. 431.

Diese Praxis wurde in der Romantik beibehalten. So heißt es bei Hummel und Czerny: So heißt es bei Hummel und Czerny: "Wenn zwei Noten zusammengeschliffen sind, so wird die erste betont, und der Finger nicht erst bei der 3ten, sondern schon bei der zweiten Note von der Taste leicht abgezogen" (Hummel 1828, S. 431). "Jede, zwischen gestossenen Noten stehende gebundene Note muss, auch bei gleichem Werthe, mit einigem Nachdruck gespielt werden" (Czerny 1839 III, S. 7).

D. G. Türk: Klavierschule. 1789. S. 358.
D. G. Türk: Klavierschule. 1789. S. 358.

Einen Sonderfall stellte der Haltebogen dar. Der Haltebogen verband zwei oder mehrere aufeinanderfolgende Noten gleicher Tonhöhe, so dass sie wie ein einziger Ton klangen. Auf diese Weise konnten Noten über einen oder mehrere Taktstriche hinweg verlängert werden. Theoretisch sollte nur der erste Ton angeschlagen und bis zum Ende des Bogens gehalten werden. In der Praxis war es jedoch oft notwendig, den Ton erneut anzuschlagen, vor allem bei Instrumenten, deren Töne schnell verklangen. Bach und Türk trugen diesem Umstand in ihren Lehrwerken Rechnung: "Bey langen Aushaltungen hat man die Freyheit, die lange gebundene Note dann und wann wieder anzuschlagen" (Bach 1753, S. 128). "Sind mehrere Noten zusammen gebunden, wie in dem nachstehenden Beyspiele, so würde man endlich den auszuhaltenden (gebundenen) Ton nicht mehr hören; daher ist es erlaubt, ja oft nothwendig, in solchen Fällen die Taste zuweilen wieder anzuschlagen" (Türk 1789, S. 358). 

D. G. Türk: Klavierschule. 1789. S. 353.
D. G. Türk: Klavierschule. 1789. S. 353.

Wenn Noten nur sehr kurz gespielt und voneinander abgesetzt werden sollten, wurden Punkte oder Striche über den Noten als Stakkatozeichen notiert. Sollte ein ganzes Musikstück im Stakkato gespielt werden, so wurde dies mit der Artikulationsanweisung staccato angegeben: "Die Zeichen bey a) und b) haben einerley Bedeutung; doch wollen Einige durch die Striche a) ein kürzeres Absetzen bezeichnen, als durch die Punkte b). Soll man in einem mit staccato überschriebenen Tonstücke, wie bey c), dessen ungeachtet einzelne singbare sc. Gedanken schleifen, so werden diese durch einen Bogen bezeichnet" (Türk 1789, S. 353). Die Noten wurden dabei um mehr als die Hälfte ihres Wertes verkürzt: "diese Noten werden allezeit etwas weniger als die Hälfte gehalten. Ueberhaupt kann man sagen, daß das Stossen mehrentheils bey springenden Noten und in geschwinder Zeitmaaße vorkommt" (Bach 1753, S. 125; vgl. Türk 1789, S. 353). 

H. C. Koch: Musikalisches Lexikon. 1802. Sp. 43f.
H. C. Koch: Musikalisches Lexikon. 1802. Sp. 43f.

Besonders in langsamen Sätzen mussten die abzustoßenden Noten im Notentext gekennzeichnet werden, denn "die gewöhnliche Vortragsart solcher Sätze erfordert, daß die Töne ineinander schmelzend und gezogen ausgeübt werden. In Sätzen von geschwinder Bewegung hingegen giebt es viele Arten von Passagen, bey welchen die Ausführer gewohnt sind, die Noten ohne besondere Anzeige, von selbst abzustoßen; daher pflegen die Tonsetzer dergleichen Passagen auch niemals mit dem Zeichen des Abstoßens zu bemerken. Von dieser Beschaffenheit sind z. B. folgende Sätze" (Koch 1802, Sp. 44).

H. C. Koch: Musikalisches Lexikon. 1802. Sp. 45f.
H. C. Koch: Musikalisches Lexikon. 1802. Sp. 45f.

Punkte oder Striche konnten aber auch bedeuten, dass die Noten, über denen sie standen, non legato gespielt werden sollten. Dies war dann der Fall, wenn sie nach einem Legatobogen notiert waren und anzeigten, dass die folgenden Noten nicht mehr gebunden werden sollten: "Diejenigen, die mitten unter andern Noten ihrer Gattung, die mit einem Schleifezeichen bemerkt sind, gestoßen werden sollen. Wenn z.B. der Tonsetzer verlangt, daß die beyden ersten Sechzehntheile in folgender Notenfigur geschleift, das dritte und vierte Sechzehntheil hingegen gestoßen werden soll, so müssen die beyden letzten mit dem Abstoßzeichen bemerkt werden, weil die Ausführer sonst glauben, daß sie ebenfalls, so wie die beyden ersten, geschleift werden sollen" (ebd. Sp. 43f.). 

5 Legato, Non-Legato und Stakkato in der Gitarrenmusik

5.1 Das Legato

A. M. Lemoine: Nouvelle Méthode de Guitarre. 1799. S. 17.
A. M. Lemoine: Nouvelle Méthode de Guitarre. 1799. S. 17.

In den Gitarrenschulen, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts erschienen, wurde der "Schleifer", das Binden von Noten, in zwei Zusammenhängen behandelt: zum einen im Zusammenhang mit der Ausführung des Vorschlags und zum anderen im Zusammenhang mit dem Skalenspiel. Im ersten Fall diente er als Verzierung, im zweiten Fall wurde er aus spieltechnischen Gründen bei der Ausführung schneller Passagen verwendet. François Doisy und Antoine Lemoine verweisen in ihren Gitarrenschulen auf beide Verwendungszusammenhänge: "Der Schleifer besteht aus 2 oder 3 stufenweise steigenden oder fallenden Vorschlägen, die jederzeit an ihre Hauptnoten geschleift werden" (Doisy 1802, S. 65; vgl. N. N. 1802, S. 13; Lehmann 1820, S. 12). "Man verfährt bei Ausführung der Läufe sowohl im Auf- als Absteigen auf die nämliche Art, wie bei den Vorschlägen" (ebd. S. 68)"Schleifer [coulés] werden von zwei Noten bis zu zwei Oktaven und mehr in Folge gespielt" (Lemoine 1799, S. 17 übers.; vgl. Bédard 1807, S. 6f.). Da die Ausführung des Vorschlags im Zusammenhang mit der Verzierungstechnik beschrieben wird, soll hier nur auf das Skalenspiel eingegangen werden. 

Die Legatotechnik diente um 1800 der Erleichterung des Skalen- und Passagenspiels. Heinrich Christian Bergmann wies in seiner Kurze[n] Anweisung zum Guitarrspielen (1802) ausdrücklich auf die erleichternde Funktion der Legatotechnik hin: "Eine große Erleichterung kann man sich auch bey dem Spielen dadurch verschaffen, daß man nicht für jeden Ton, welcher mit der linken Hand auf dem Griffbrete, mit einem besondern Finger muß gegriffen werden, jedesmal mit dem dazu gehörigen Finger der rechten Hand, zum Anschlagen desselben, zu nehmen braucht. - Es versteht sich, daß hierunter nur laufende Töne, welche auf eine Saite vorkommen, verstanden werden (...). Schlägt man aber nur den ersten Ton an - es sey Saite oder Stufe - und läßt die andern beyden, so daß man den Finger der rechten Hand sogleich wieder aufhebt, mit den Fingern der linken Hand durchgehen, so wird dies viel leichter seyn" (Bergmann 1802, S. 26). Die Legatotechnik wurde also nur aus spieltechnischen, nicht aber aus musikalischen Gründen im Tonleiterspiel angewandt. Bei schnellen Tempi wurden die Noten auch dann gebunden, wenn im Notentext keine Bindebögen notiert waren. Langsame Passagen hingegen konnten auch non legato gespielt werden: "Der gebrochene Läufer ist der schwerste und kann nur im langsamen Tempo gemacht werden" (Doisy 1802, S. 69)

M. Giuliani: Studio per la Chitarra. 1812. S. 38.
M. Giuliani: Studio per la Chitarra. 1812. S. 38.

In der Zeit nach 1806, als höhere Anforderungen an das Gitarrenspiel gestellt wurden, ging man dazu über, das Legato als musikalisches Stilmittel zu verwenden. Die entscheidenden Impulse hierzu gingen von Giuliani und Carulli aus (Giuliani 1812, S. 38; vgl. Blum 1818, S. 25f.; J. M. G. y E. 1819, S. 16; Molino 1823, S. 1; Bathioli 1825 Theil II/1, S. 20f.; Bathioli 1827, S. 9; Häuser 1833, S. 7; Pelzer 1835, S. 37; Carcassi 1836, S. 38; Kirkman 1842, S. 18; Aguado 1843, § 129; Mertz 1848, S. 23). Mauro Giuliani verwendete die Wechselschlagtechnik für das Skalen- und Melodiespiel, während er die artikulatorische "Bindung" (legatura), das "Schleifen" (strisciato) und die "Dämpfung" (smorzato) als Stilmittel einsetzte. Das Schleifen führte er im Gegensatz zur normalen Bindung mit nur einem Finger aus und erweiterte damit die Legatotechnik um das Glissando (ebd. S. 38f.). Sowohl beim Binden als auch beim Schleifen der Töne verwendete Giuliani den Legatobogen als Artikulationszeichen.

F. Carulli: Méthode Complette Pour Guitare ou Lyre. 2. Ed. 1819. S. 30.
F. Carulli: Méthode Complette Pour Guitare ou Lyre. 2. Ed. 1819. S. 30.

Ferdinando Carulli verwendete die Legato-Technik, um musikalische Passagen "weicher und angenehmer zu machen" (Carulli 1819, S. 30 übers.). Er differenzierte zwischen einer Aufschlags- und einer Abzugsbindung, dem coulé en montant und dem coulé en descendant: "Der Schleifer aufwärts wird ausgeführt, indem man die erste Note zupft und dann den Finger der linken Hand kräftig auf dieselbe Saite setzt, wobei man die Schwingung ausnützt, die durch das Zupfen der ersten Note hervorgerufen wurde" (ebd.).

F. Carulli: Méthode Complette Pour Guitare ou Lyre. 2. Ed. 1819. S. 31.
F. Carulli: Méthode Complette Pour Guitare ou Lyre. 2. Ed. 1819. S. 31.

"Der Schleifer abwärts wird ausgeführt, indem man die erste Note zupft und den Finger, der sie gebildet hat, mit Kraft zurückzieht, nachdem man den Finger, der die zweite Note bilden soll, vorbereitet hat, wenn sie nicht offen ist" (ebd. S. 31 übers.; vgl. Giuliani 1812, S. 32f.). In beiden Fällen lagen die zu bindenden Töne auf ein und derselben Saite. Es ist anzunehmen, dass der erste Ton jedes Tonpaares akzentuiert und leicht gedehnt wurde.

F. Carulli: Méthode Complette Pour Guitare ou Lyre. 2. Ed. 1819. S. 31.
F. Carulli: Méthode Complette Pour Guitare ou Lyre. 2. Ed. 1819. S. 31.

Für den Fall, dass die zu bindenden Töne auf verschiedenen Saiten lagen, wandte Carulli andere spieltechnische Lösungen an: "Normalerweise werden die Noten paarweise gebunden, aber oft findet man in meiner Musik unter den gebundenen Noten zwei mit einem Punkt darauf, so dass sie mit zwei Fingern gezupft werden müssen, weil dies nur beim Übergang von einer Saite zur anderen geschieht; sie müssen aber mit einer einzigen Handbewegung gezupft werden, wobei man die beiden Finger fast zusammenführt, so dass die beiden Noten aussehen, als wären sie gebunden worden" (ebd.).

F. Carulli: Méthode Complette pour Guitare. 3. Ed. 1822. S. 34.
F. Carulli: Méthode Complette pour Guitare. 3. Ed. 1822. S. 34.

Wurden die Noten, die auf verschiedenen Saiten lagen, nicht mit Punkten, sondern mit einem Bindebogen markiert, so erfolgte die Bindung dadurch, dass der Greiffinger mit Kraft auf die benachbarte Saite drückte und diese in Schwingung versetzte. Carulli bezeichnete diese Art der Bindung in der ersten Auflage seiner Gitarrenschule op. 27 als Echo, in der fünften Auflage op. 241 als Vibration: "Wenn man Noten paarweise bindet, so kommt es beim Abwärtsspielen oft vor, dass eine Note, die auf einer Saite gezupft wurde, an eine andere Note auf der nächsten Saite gebunden werden muss, dann geschieht dies mittels ECHO. Das ECHO wird erzeugt, indem man eine Saite in Schwingung versetzt und den Finger der linken Hand mit Kraft auf die nächste Saite drückt, ohne sie vorher gezupft zu haben" (Carulli 1819, S. 31f.; 1822, S. 33f. übers.; vgl. Plouvier 1816, S. 40; Marescot 1825 I, S. 12f.; Mure 1825, S. 33; Carnaud 1826, S. 11; Henry 1826, S. 33; Meissonnier 1828, S. 33; Hamilton 1834, S. 4; Plouvier 1836, S. 29).

F. Carulli: Méthode Complette pour Guitare. 3. Ed. 1822. S. 34.
F. Carulli: Méthode Complette pour Guitare. 3. Ed. 1822. S. 34.

Basstöne, die auf verschiedenen Saiten lagen, wurden durch eine gleitende Bewegung des Daumens (glissez le pouce) miteinander verbunden: "Wenn man von der sechsten Saite zur fünften und von der fünften zur vierten Saite aufsteigt, kommt es oft vor, dass man, nachdem man eine Note auf einer Saite gezupft hat, diese mit einer leeren Note auf der nächsten Saite verbinden muss, dann muss man den Daumen der rechten Hand von einer Saite zur anderen gleiten lassen, ohne ihn anzuheben, was den Effekt des Schleifens erzeugt" (Carulli 1819, S. 32; 1822, S. 34 übers.; vgl. Joly 1819, S. 17f.; Meissonnier 1828, S. 32; Plouvier 1836, S. 29).

In der Romantik löste das Legato das Non-Legato als Standardartikulation ab. Dies wirkte sich auf das Gitarrenspiel dahingehend aus, dass Melodie- und Akkordtöne fließend ineinander übergingen. So empfahl Mrs. Joseph Kirkman, beim Akkordspiel darauf zu "achten, dass eine fließende Schwingung erzeugt wird" (Kirkman 1842, S. 5 übers.). Und Dionisio Aguado riet seinen Schülern, die Akkordwechsel so schnell wie möglich auszuführen, damit die aufeinanderfolgenden Akkorde ohne Unterbrechung erklingen: "Da der Ton aufhört, sobald der Finger, der die Saite anschlägt, die ihn erzeugt, angehoben wird, müssen die Bewegungen der linken Hand, wenn sie von einer Stelle zur anderen übergeht, sehr schnell sein: Auf diese Weise genießt das Ohr die Töne, die es zu verlassen gilt, länger, und die folgenden werden schneller gehört. Bei den Arpeggien ist diese Genauigkeit besonders wichtig, damit die letzten Noten jeder Gruppe gut gehört werden" (Aguado 1849, S. 12 übers.).

5.2 Das Non-Legato

M. Giuliani: Studio per la Chitarra. 1812. S. 31.
M. Giuliani: Studio per la Chitarra. 1812. S. 31.

Das Non-Legato wurde um 1800 mit verschiedenen Begriffen bezeichnet. In deutschsprachigen Gitarrenschulen wurden teilweise die Begriffe "Abstoßen" oder "Stakkato" verwendet, so dass eine klare Abgrenzung zwischen Non-Legato und Stakkato kaum möglich war. Beide Artikulationsformen dienten dazu, musikalische Gedanken deutlich zu artikulieren. In Bergmanns Kurze[r] Anweisung zum Guitarrspielen (1802) wird diese Funktion des "Abstoßens" deutlich hervorgehoben: "Diejenigen Noten, welche gestoßen werden sollen, müssen schon alle deswegen mit dem Finger angeschlagen werden, weil die Töne sonst ganz unvernehmlich würden" (Bergmann 1802, S. 27). 

Die französischen Gitarristen verwendeten für das Non-Legato den präziseren Begriff Détacher ("Sonderung"). Die Töne wurden voneinander "gesondert", indem sie abwechselnd angeschlagen wurden. So schrieb François Doisy: "Die Sonderung ist eine Folge von Noten, die völlig ungebunden sein müssen. Normalerweise sind es der Daumen und der erste Finger der rechten Hand, die man abwechselnd dazu benutzt. Da sie sehr schwierig auszuführen ist, wird sie fast nur bei gemäßigten Bewegungen verwendet. Was die Sonderung von Doppelnoten oder im Akkord durch gemeinsame Stufen betrifft, so ist sie in einem Presto und auch in einem Allegro nicht ausführbar" (Doisy 1801, S. 63 übers.). Und Charles Lintant formulierte kurz und bündig: "Die Noten werden gesondert (détache), indem man abwechselnd den 1. und 2. Finger verwendet" (Lintant 1813, S. 10 übers.; vgl. Carpentras 1824, S. 5; Meissonnier 1828, S. 3; Sor 1831, S. 26). Die "Sonderung" diente vor allem dazu, musikalische Passagen deutlich zu machen. Carulli führte dazu aus: "In der Gitarrenmusik gibt es eine Reihe von Linien (traits), die gesondert (détachés) werden müssen, sei es, weil der Autor sie so markiert hat, sei es, weil beim Spielen von Duos oder Trios mit anderen Instrumenten in einer FORTE-Passage die gebundenen Noten kaum hören würde" (Carulli 1819, S. 29 übers.).

M. Giuliani: Caprice. Oeuvre 11. Wien 1810. S. 4.
M. Giuliani: Caprice. Oeuvre 11. Wien 1810. S. 4.

Mauro Giuliani verwendete die Begriffe "Staccato", "Sonderung" und "détaché" synonym (Giuliani 1812, S. 31). Dementsprechend markierte er Noten, die non legato gespielt werden sollten, mit Stakkatozeichen. In der Regel waren dies Noten in Melodien oder Passagen, die auf gebundene Notenpaare folgten. Die markierten Noten sollten wie Noten ohne Artikulationszeichen gespielt werden, d. h. im Wechselschlag. Die Stakkatozeichen dienten lediglich dazu, in gemischten Passagen mit gebundenen und ungebundenen Noten deutlich zu machen, welche Noten ungebundenen sein sollten (vgl. Giuliani op. 11 und 18).

5.3 Das Stakkato

M. Giuliani: Studio per la Chitarra. 1812. S. 30.
M. Giuliani: Studio per la Chitarra. 1812. S. 30.

Für das eigentliche Stakkatospiel verwendete Giuliani den Begriff Smorzato ("gedämpft"). Die Stellen, die "gedämpft" gespielt werden sollten, markierte er im Notentext durch Sechzehntelnoten im Wechsel mit Sechzehntelpausen (Giuliani 1812, S. 30).

Alternativ wurden Noten, die im Stakkato gespielt werden sollten, durch senkrechte Striche oder Punkte gekennzeichnet (vgl. Bédard 1807, S. 8). Da Striche und Punkte auch für das Non-Legato verwendet wurden, ergab sich das Problem, dass Stakkato und Non-Legato nicht immer eindeutig unterschieden werden konnten. Salvador Castro fügte daher in seiner Méthode de Guitare ou Lyre (1810) den Non-Legato-Zeichen den Begriff stacato hinzu, um das klangliche Ergebnis zu bezeichnen (vgl. S. 66). Francesco Bathioli wies in seiner Gemeinnützige[n] Guitareschule (1825) auf die Mehrdeutigkeit des Begriffs "Sonderung" hin, der sowohl das Non-Legato als auch das Stakkato bezeichnen konnte: "Die Sonderung besteht darin, daß jede Note in der rechten Hand eigens angeschlagen wird. Dabei unterscheidet man zweierlei Arten, die gewöhnliche Sonderung von dem Stakkato. - Die gewöhnliche Sonderung ist auf der Guitare vielmehr ein Pizzikato (Kneipen, Abschnellen), wo der Ton mit abnehmender Stärke bis zum neuen Anschlage fortdauert. - Bei dem Stakkato hingegen werden die Töne kurz, wo inzwischen die Dämpfung eintritt, abgestoßen. Da aber das Stakkato auf der Guitare nur äußerst selten ... ausgeübt wird, so braucht man die Benennung 'Stakkato' meistens für die Sonderung überhaupt, in so ferne nämlich der besonders angeschlagene Ton der Bindung entgegen gesetzt ist" (Bathioli 1825 Theil II/1, S. 20). 

F. Bathioli: Gemeinnützige Guitareschule. Bd. I/1. 1825. S. 20.
F. Bathioli: Gemeinnützige Guitareschule. Bd. I/1. 1825. S. 20.

Um Verwirrung bei der Notation zu vermeiden, verwendete Bathioli Punkte und Striche über den Noten als "Sonderungszeichen": "Diese zeigen an, daß jede Note durch einen besondern Anschlag ertönen soll. Erstere sollen eine kurze und niedliche, letztere aber eine lange und scharfe Sonderung bedeuten". Punkte und Striche mit einem Bogen hingegen nutzte er als "Staccato oder Abstoßungszeichen": "Wenn hingegen über den Punkten oder Strichen auch noch ein Bogen gezogen ist, so zeigt dieses an, daß die Töne kurz abgestoßen werden sollen, wo inzwischen von einem Ton zum andern immer eine Dämpfung eintritt" (Bathioli 1825 Theil I/1, S. 20).

Ergänzend wies Bathioli darauf hin, dass die artikulatorische Gestaltung einer Melodie nicht an das Vorhandensein von Artikulationszeichen gebunden sei, sondern auch dem persönlichen Geschmack des Spielers überlassen werden könne: "Wenn aber bei den melodischen Figuren die Art des Vortrages nicht angezeigt ist, so wird es lediglich dem Geschmacke und der Einsicht des Spielers überlassen, die Töne zweckmäßig vorzutragen, welches meistens in der Abwechslung der Sonderung mit der Bindung besteht" (Bathioli 1825 Theil II/1, S. 20).