Bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts nutzten die Gitarristen die Möglichkeit, spezielle Klangeffekte auf der Gitarre zu erzeugen. Glaubt man den Aussagen von Simon Molitor, so wurden Klangeffekte weniger aus musikalischen als aus effektheischenden Gründen eingesetzt: "Es ist sehr zu bedauern, dass selbst Guitaristen, die es auf ihrem Instrumente zu einer seltenen Fertigkeit gebracht haben, ... mehr durch zwecklose Künsteleien als durch solides Spiel und angenehmen Vortrag den eitlen Beifall der Menge zu erreichen sich bestreben, ja, dass sie sogar aus Sucht sonderbar zu seyn, auf die sonderbarsten Missbräuche und auf die lächerlichsten Einfälle gerathen. Dahin rechne ich z. B. den allzuhäufigen Gebrauch oder vielmehr Missbrauch des seynsollenden Flageolets - das Reissen der Saiten mit den Nägeln (...) dann das Klopfen und Trommeln auf dem Resonanzboden, indem sie nemlich zum Anfange eine Entrada, oder in den Zwischensätzen einen förmlichen Tusch austrommeln u. a. m." (Molitor 1806, S. 10 Anm.).
Von den vielen Möglichkeiten, Klangwirkungen auf der Gitarre zu erzeugen, wurden in den Gitarrenschulen zunächst nur zwei vorgestellt: natürliche Flageoletttöne und harfenähnliche Arpeggien. Dies änderte sich in den 1820er Jahren mit dem wachsenden Einfluss der Romantik. Man ging dazu über, in den Gitarrenschulen eine breitere Palette von Klangfarben vorzustellen, mit künstlichen Flageoletttönen und verschiedenen Instrumentalimitationen.
Die Flageoletttöne wurden in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als "harmonische Töne" (sons harmoniques), "Obertöne" (armonicos, armonici), "Flötentöne" (sons flutes, flûtés, flautados) oder als "natürliche" und "künstliche Flageolett-Töne" bezeichnet. Sie wurden so genannt, weil sie einen flöten- oder glockenähnlichen Klang hatten. Dementsprechend wurden sie als musikalische Farbtupfer oder zur Imitation von Flöten- oder Glockenklängen, zum Beispiel in Märschen, verwendet.
Jean-Baptiste Phillis erklärte in seiner Nouvelle Méthode Pour la Lyre ou Guitarre (1799), wie man "harmonische Töne" erzeugt: "Man erzeugt sie, indem man die Saite in der Nähe des Stegs kräftig zupft und den Finger der linken Hand auf den Bund legt. Man berührt die Saite, ohne sie zu biegen, und zieht den Finger sofort nach dem Zupfen zurück, damit der Ton deutlich [hörbar] wird" (Phillis 1799, S. 21 übers.; vgl. Lemoine 1807a, S. 18; Bédard 1807, S. 7). Genauer gesagt, berührte man eine leere Saite leicht oberhalb eines Schwingungsknotens, der sie in ein harmonisches Längenverhältnis (1:2, 1:3 usw.) teilte. Wurde das Flageolett beispielsweise eine Quart über dem leeren Ausgangston erzeugt, so klang das Ergebnis eine doppelte Oktave über dem Ausgangston.
François Doisy erläuterte in seinen Principes Généraux de la Guitare (1801) ausführlich die Erzeugung eines Quartflageoletts, wobei er teilweise noch die alte Tabulatur als Notationsform für die Flageoletttöne verwendete (vgl. Doisy 1801, S. 63-68). Er erklärte die Flageolett-Technik auch am Beispiel der fünfsaitigen Gitarre, was beweist, dass er seine Gitarrenschule ursprünglich für die fünfsaitige Gitarre konzipiert hatte. Die deutsche Ausgabe von 1802 wählte dagegen die übliche Notation: "Der harmonische Ton entspringt aus dem Grundtone. Man setzet gewöhnlich aber die Note, welche harmonisch ausgedrückt werden soll, ein kleines (o)" (Doisy 1802, S. 69).
Auf einer fünfsaitigen Gitarre mit fünf Grundtönen ließen sich nach Doisy fünf Quartflageoletts erzeugen: "Um dieselben rein hervorzubringen setze man ganz leicht was immer für einen Finger auf die e-Saite senkrecht auf das fünfte Querleistchen, schlage die Saite nahe bei dem untern Stege mit einem Finger der rechten Hand stark an, wodurch der harmonische Ton e ertöntet, die Doppeloctave der offenen Saite, die Octave der Quinte des Grundtones a. Eben so verfahre man mit dem nämlichen Finger auf der g-Saite, so erhält man g, die Doppeloctave der offenen Saite, und die Octave der Quinte des Grundtones c. Gleiche Weise beobachte man auf der d-Saite, wo man d erhält, die Doppeloctave der offenen Saite, und die Octave der Quinte des Grundtones g; und auf der a-Saite, das a. Die Doppeloctave der offenen Saite und die Octave der Quinte des Grundtones d. Zur besseren Uebersicht der gewöhnlichen und der harmonischen Töne sehe man folgende" (ebd. S. 70).
Auf einer Tafel präsentierte Doisy alle natürlichen Flageoletttöne, die auf der Gitarre erzeugt werden konnten: u. a. Flageoletts über der Sekunde, der kleinen Terz, der großen Terz, der Quarte, der Quinte, der Sexte und der Oktave (Doisy 1801, S. 65; 1802, S. 71).
Obwohl die Flageolett-Technik von Anfang an bekannt war, wurde sie in den Gitarrenschulen eher stiefmütterlich behandelt. Mauro Giuliani stellte die
Flageolett-Technik zwar 1807 in seinen Otto Variazioni per la Chitarra sola (op. 6) vor: "Um die harmonischen Töne oder Flageoletts gut
auszudrücken, muss man die Finger leicht auf die Saiten legen, nach Maßgabe der Bünde, die durch die Zahlen über den Noten angegeben werden; man beachte, dass die Zahlen unter den Noten die
Saiten der Gitarre angeben" (op. 6, Var VII. übers.). In seiner Gitarrenschule erwähnt er
sie jedoch nicht, so dass man seine Spielanweisungen in den Notentexten analysieren muss, um seine Flageolett-Technik zu
rekonstruieren.
1814 ersetzte Giuliani die Zahlen, die die Bünde angaben, über denen die Flageoletts zu greifen waren, durch den Fingersatz der linken Hand. Ein Beispiel für die neue Notation findet sich in seinem Stück Choix de mes Fleurs cheries (op. 46).
Johann Jakob Staehlin folgte Doisys Beispiel und fügte seiner Anleitung zum Guitarrespiel (1811) eine anschauliche Tafel bei, "auf welcher diejenigen dieser Töne angemerkt sind welche am deutlichsten ansprechen" (Staehlin 1811, S. 55; vgl. S. 59). Im Gegensatz zu Doisy wies er darauf hin, dass die Schwingungsknoten der Saiten nicht immer genau über den Bundstäbchen liegen: "Zu bemerken ist indess, dass die Flageolet Töne nicht alle genau bey den bezeichneten Leistchen gelegen sind, sondern theils nahe vor und theils nahe hinter derselben" (ebd. S. 55).
Auch Ferdinando Carulli ging in seiner Gitarrenschule auf die Flageolett-Technik ein, beschränkte sich aber in seinen Ausführungen auf die leicht spielbaren Töne: "Man erzeugt auch harmonische Töne auf der Gitarre, aber es ist unmöglich, sie alle gleich zu machen; einige sind gut und andere sind dumpf. Diejenigen, die man über dem fünften, siebenten und zwölften Bund erzeugt, sind sehr klar, die anderen nicht" (Carulli 1819, S. 48 übers.).
Gegen Ende der 1810er Jahre wurde die Flageolett-Technik in den Gitarrenschulen als Standardtechnik übernommen und weiterentwickelt (vgl. Plouvier 1816, S. 42f.; Joly 1819, S. 58; Harder 1819, S. 76f.; Carulli 1825, S. 62; Mathieu 1825, S. 73-79; Aguado 1825, §§ 349-365; Mure 1825, S. 88; Henry 1826, S.122-125; Carnaud 1826, S. 11; Ledhuy, 1828, S. 14; Häuser 1833, S. 7; Bruni 1834, S. 25; Hamilton 1834, S. 5; Pelzer 1835, S. 34; Carcassi 1836, S. 68f.; Kirkman 1842, S. 22). Das heißt, der dritte und vierte Bund wurden zunehmend in die Flageolett-Technik einbezogen (vgl. Marescot 1825 II, S. 6-8; Strawinski 1846, S. 23).
Insbesondere Fernando Sor beschäftigte sich intensiv mit der Flageolett-Technik. Seiner Ansicht nach wurde ihr Potenzial nicht ausgeschöpft. So bemängelte Sor, dass Flageoletttöne nur auf dem fünften, siebten und zwölften Bund gespielt würden: "Ich bemerkte auch, dass man sie nur hervorbrachte auf dem siebenten Griffe, auf dem fünften jedoch nur sehr selten; und sehr häufig auf dem zwölften; und dass auf diesem letzten der Ton viel angenehmer und etwas anhaltender war, als auf den beiden andern, und dass der letzte Ton, den sie hervorbrachten, immer der reinste war" (Sor 1831, S. 47). Stattdessen wollte er die ganze Bandbreite der Flageoletttöne ausnutzen, was er dadurch erreichte, dass er sie auch unter- und oberhalb des zweiten Bundstäbchens, unter- und oberhalb des dritten Bundstäbchens sowie über dem vierten und dem neunten Bund anspielte (ebd. S. 49).
Für die Erzeugung von Flageoletts stellte Sor drei Regeln auf: "1. die Saite an der bestimmten Stelle nicht zu leicht zu drücken, sondern so, dass ich sie wohl unter meinen Finger empfinde. 2. Der Handlung des Anschlagens der Saite mit dem Finger der rechten Hand müsse unmittelbar die folgen, sie durch Aufhebung des Fingers der linken Hand in freie Schwingung zu setzen. 3. jemehr die hervorzubringenden Töne die Lage der Hand in der Nähe des Kammes bedingen, desto heftiger müsse das Anschlagen der Saite geschehen und desto stärker der Druck des Fingers der linken Hand seyn, jedoch ohne die Saite zu nöthigen, dem Griff zu nahe zu kommen" (ebd. S. 48). Im Notentext kennzeichnete Sor die Saiten, auf denen die Flageoletttöne gespielt werden sollten, mit Noten, und die Bünde, über denen sie gegriffen werden sollten, mit Ziffern (ebd. S. 50).
Sor benutzte die Flageoletttöne jedoch nicht, um den Klang einer Flöte zu imitieren: "Was die harmonischen Klänge betrifft, so glaube ich nicht, dass sie immer die Flöte nachahmen können, weil diese nicht fähig ist so tiefe zu spielen als die Guitarre und um ein Instrument nachzuahmen, das nachahmende sich auf die gleiche Höhe stimmen muss: nie wird ein Mann die Stimme einer Frau gut nachahmen, wenn er nicht im Falset singet, weil diese beiden Stimmen von Natur zu einander in der Octave stehen" (ebd. S. 17).
Denn die auf der Gitarre erzeugten Flageoletttöne waren tiefer als die einer Flöte: "Man muss auf die Töne achten, welchen die Harmonietönen entsprechen, denn wenn ich eine Flöte nachahmen will, so kann ich das nie erreichen, wenn ich die Stelle so ausführe, wie es das 11te Beispiel angiebt, sondern sie muss auf der Höhe des 12. Beispiels gespielt werden; nicht wie die Guitarre gewöhnlich die Noten wiedergiebt, sondern wie sie auf der allgemeinen Klaviatur liegen" (ebd. S. 18). Die Flageoletts ähnelten nach Sor eher den Klängen "des indischen Marimbo" (ebd. S. 47). Sor selbst verwendete Flageoletts, um den Klang einer in der Ferne läutenden Kirchenglocke zu imitieren, wie in seiner "Fantaisie Villageoise" (op. 52).
Auch Francesco Bathioli beschäftigte sich intensiv mit der Flageolett-Technik. In seiner Guitare-Flageolett-Schule (1832) ging er ausführlich auf die akustischen Grundlagen der Erzeugung von Flageoletttönen ein. Zum Beispiel erklärte er, warum man die Saiten bei der Erzeugung von natürlichen Flageoletts nahe am Steg anschlagen sollte. Der Stegbereich eignete sich für das Flageolettspiel deshalb, weil dort die Gefahr am geringsten war, die Saiten an Stellen anzuschlagen, an denen sich Schwingungsknoten bildeten: "Am sichersten vor einem Fehler ist man, wenn man die Saiten nahe am Sattel oder Saitenfeste anschlägt, weil hieher nur dann Schwingungsknoten fallen würde, wenn man die Saite in sehr kleine z. B. 15, 16, 17, u.s.w. Theile durch Berührung eines derlei Theilpunktes theilte, welcher Fall bei der Guitare nicht eintreten kann, da schon die auf der Theilung der Saiten in Neunteln beruhenden Flageolett-Töne schwer ansprechen" (Bathioli 1832, S. 9).
Bathioli bestimmte auch, "wo, welche und wie viele Flageolett-Töne" auf der Gitarre erzeugt werden konnten (ebd. S. 12). Er errechnete, dass man auf einer sechssaitigen Gitarre 162 natürliche Flageoletttöne erzeugen könne, fügte aber einschränkend hinzu, dass es unter diesen 132 "Alternativpunkte" gebe: "so lassen sich auf den 27 verschiedenen Flageolettpunkten einer Saite nicht eben so viele, sondern nur 8 verschiedene Flageolett-Töne hervorbringen, wovon drei die 1te, 2te und 3te Oktave der leeren Saiten, zwei deren Quinte in der 1ten und 2ten Oktave, und die andern drei Punkte die Sekunde, grosse Terz und die kleine Sept der leeren Saiten geben" (ebd. S. 17). Daraus schloss er: "In der vorstehenden ganzen Reihe der 30 natürlichen Flageolett-Töne sind nur 3 vollständige und 3 unvollständige Skalen enthalten. Vollständig können vorgetragen werden die Skalen in G dur, D dur und A Moll; unvollständig die Skalen in C dur, D dur und A dur, bei welchen die Sept und Oktave nur mit Umkehrung statt findet" (ebd.).
Dionisio Aguado schließlich teilte die natürlichen Flageoletts nach ihrer Qualität in "klare", "weniger klare" und "verstimmte" ein: "Die Abbildung auf Tafel 7 umfasst alle Obertöne, die auf der Gitarre bis zur 12. Unterteilung erzeugt werden können, denn von dieser bis zum Steg gibt es ebenso viele in verhältnismäßig gleichen Abständen. Sie sind jedoch nicht alle von gleicher Qualität; die der Basssaiten, besonders wenn sie neu sind, sind klarer als die der Diskantsaiten. Von diesen sind die fünf höchsten kaum wahrnehmbar, und unter ihnen ist derjenige, der der Septime des Tones entspricht, auf allen Saiten verstimmt" (Aguado 1843, § 180 übers.).
Die natürlichen Flageoletttöne hatten den Nachteil, dass sie nicht alle Töne der chromatischen Tonleiter abdeckten. Ihre Einsatzmöglichkeiten waren daher
begrenzt. Aguado verwendete daher künstliche Flageoletttöne, um die fehlenden Töne der chromatischen Tonleiter zu ergänzen. Er griff dabei auf eine Methode zurück, die François de
Fossa in der Einleitung zu seiner Ouverture du jeune Henri (1821-22) vorgestellt hatte (Aguado 1825, § 349; 1843, § 185).
Ob de Fossa der Erfinder der Methode ist, darf bezweifelt werden. So vermerkte bereits D. Joly in seiner Gitarrenschule
L'Art de Jouer de la Guitare (1819) an: "Ein Künstler aus Paris hat soeben (wie er sagt) die Möglichkeit entdeckt, alle Töne und Halbtöne,
aus denen sich die Tonleiter des Instruments zusammensetzt, in harmonischen Tönen zu durchlaufen: siehe Nr. 4 des Indicateur Musical" (Joly 1819, S. 59 übers.). Wer dieser "Künstler aus
Paris" war, lässt sich mangels Quellen nicht sagen. Möglicherweise handelte es sich um den deutschen
Gitarristen Carl von Gärtner, der sich 1819 unter dem Namen Charles de Gaertner in Paris aufhielt.
Aguado und de Fossa kannten "drei verschiedene Arten der Erzeugung von Obertönen":
1. natürliche Flageoletttöne, die als "harmonische Töne" (sonidos armónicos) oder "Flötentöne" (flautados) bezeichnet wurden (Aguado 1825, §§ 350-359; 1843, §§ 179-184).
2. künstliche Flageoletttöne, die "Oktav-Obertöne" (armónicos octavados) genannt wurden (Aguado 1825 §§ 360-362; 1843, §§ 185-186) und
3. künstliche Flageoletttöne, die als "harmonische Töne mit zwei Fingern der linken Hand" von den mit den Fingern beider Hände erzeugten Flageoletts unterschieden wurden (Aguado 1825, §§ 363-365).
Die erste Technik, die Aguado anwandte, um künstliche Flageoletts zu erzeugen, bestand darin, mit Zeigefinger und Daumen Oktavflageoletts über dem versetzten zwölften Bund zu spielen. Aguado beschrieb die Technik folgendermaßen: "Dazu wird diese Hand, wie in der Abbildung auf Tafel 7 gezeigt, gedreht, der Zeigefinger so weit wie möglich ausgestreckt, so dass er mit der Saite, auf die er harmonisch drückt, einen Winkel von mehr oder weniger 35 Grad bildet, und der Daumen, der fast senkrecht zu dieser Saite steht, schlägt sie an." Im Grunde handelte es sich um eine spieltechnische Variante des natürlichen Oktavflageolett. Der Greiffinger der linken Hand bildete einen künstlichen Sattel. "Diese Erfindung hat den Vorteil, klare Töne von guter Qualität zu erzeugen und alle Töne der chromatischen Tonleiter wiederzugeben" (Aguado 1843, § 186 übers.; vgl. ders. 1825, §§ 360f.).
Zeitgleich mit Aguado stellte Charles de Marescot in seiner Methode de Guitare (1825) die neue Flageolett-Technik vor. Er erzeugte nicht nur künstliche Oktavflageoletts, sondern auch Quintflageoletts über dem versetzten siebten Bund und Quartflageoletts über dem versetzten fünften Bund (vgl. Marescot 1825 II, S. 10f.). Marescots erweiterte Technik setzte sich jedoch nicht durch. Carcassi verwendete nur künstliche Oktavflageoletts, um die begrenzte Anzahl natürlicher Flageoletttöne zu erweitern: "Alle Noten im Umfange der Guitare lassen sich flageolet spielen. Zu dem Ende greift man die Note welche flageolet gespielt werden soll als wenn es die gewöhnliche wäre, setzt dann die Spitze des Zeigefingers der rechten Hand auf den 12ten. Bund derselben Saite welche die linke Hand gegriffen hat, entfernt den Daumen von dem Zeigefinger, setzt diesen leise auf und schlägt die Saite an, wodurch der Flageoletton ertönen wird" (Carcassi 1836, S. 69).
Sor hingegen hielt dieses Verfahren für zu umständlich und unpraktisch: "Ich hörte von einem Verfahren, durch das man sie hervorbrächte, aber sobald ich es kennen lernte, bemerkte ich, dass diese Erfindung nicht zum Ziel führen könne; sie beschränkte sich, die Hälfte der Länge zwischen dem Punkt, der den Ton hervorbringen soll und dem Stege durch einen Finger der nemlichen Hand, welche die Saite anschlägt, zu bestimmen, während die andere Hand beschäftigt ist, die Anstimmungen hervorzubringen, wovon die harmonischen Töne die Octave bilden. Ausser der doppelten Aufgabe, die mir dies stellte, die Entfernungen beider Hände genau abzumessen, fand ich noch den Übelstand (für mich) darin, dass ich die ganze Hand gebrauchen musste, um eine einzige Note anzuschlagen, und dass jede, die ich hervorbringen wollte, mir nicht blos eine Bewegung der Hand, sondern des ganzen Arms kostete, und dass es mir, da ich keinen Stützpunkt hatte, fast unmöglich war, den Finger mit Sicherheit zu richten, um die Hälfte jeder Entfernung genau zu bestimmen" (Sor 1831, S. 48f.).
Bathioli veröffentlichte 1832 eine Guitare-Flageolett-Schule, in der er ausführlich auf das "Verfahren" oder den "Mechanism" einging, "mit welchem alle möglichen Flageolet-Töne auf der Guitare bewirket werden" (Bathioli 1832, S. 8). Er beklagte darin den Missstand, dass "in Mauro Giuliani's vortrefflichen, und auch in vielen andern guten Compositionen nicht selten Stellen mit Flageolett-Tönen vorkommen", aber "die wenigen Andeutungen hierüber, welche einige Guitareschulen nur obenhin enthalten, keineswegs genügen können" (ebd. S. 2). Auch in seiner Gemeinnützige[n] Guitareschule (1825) hatte er die natürlichen Flageoletts nur kurz behandelt (vgl. Bathioli 1825 II/1, S. 28f.). Um diesem Missstand abzuhelfen, veröffentlichte er ein Lehrwerk über Gitarrenflageoletts, das an Umfang, wissenschaftlicher Genauigkeit und begrifflicher Präzision Maßstäbe setzte.
In seiner Flageolett-Schule teilte Bathioli die Flageoletts in "zwei Classen", in "natürliche und künstliche" (Bathioli 1832, S. 8), wobei den künstlichen Flageoletttönen die Aufgabe zukam, "die fehlenden Stuffen in der Reihe der natürlichen Flageolett-Töne" zu ergänzen: "Dadurch ist die Möglichkeit erlangt worden, alle Arten von Scalen, folglich auch alle Arten von Melodien in Flageolett-Tönen vortragen zu können" (ebd. S. 9). Wie de Fossa und Aguado kannte auch Bathioli zwei Methoden, um künstliche Flageoletts zu erzeugen. Die Methode, Flageoletts in der Oktave über dem versetzten zwölften Bund zu spielen, hielt er für "die Praxis bei weitem wichtiger": "Man drückt eine Saite mit einem Finger der linken Hand auf irgend einen Bund wie gewöhnlich fest nieder, sodann berührt man zugleich mit dem Zeigefinger der rechten Hand die nämliche Saite auf jenem Punkte sehr leise, der im Verhältnisse zu dem Festgriffe einen Flageolett-Ton zu geben vermag. (...) der Zeigfinger berührt den Flageolettpunkt entweder oberhalb, oder etwas seitwärts der Saite sehr leise, und der Daumen zieht sich so viel möglich von dem Zeigfinger zurück, um in einiger Entfernung die nämliche Saite zwischen den Schwingungsknoten anzuspielen" (ebd. S. 10).
Die zweite Technik zur Erzeugung künstlicher Flageoletts bestand darin, Quartflageoletts mit der linken Hand zu spielen. Bei dieser dem Geigenspiel entlehnten Technik übernahm der Zeigefinger der Greifhand die Funktion des Sattels, während der kleine Finger die Saite über einem schwingenden Knoten leicht berührte (vgl. Guhr 1829, S. 15). Auch diese Technik hatte Aguado von de Fossa übernommen: "Diese dritte Art besteht darin, dass man den kleinen Finger derselben Hand harmonisch auf irgendeinen Bundstab legt, während man gleichzeitig mit dem Zeigefinger dieselbe Saite in einem Abstand von fünf Bünden in Richtung des Sattels greift und erst dann aufhört, sie zu greifen, wenn der Oberton über dem 5. Bund erzeugt wird, ein Punkt, von dem wir in § 354 gesehen haben, dass er einen Oberton des leeren Saitenklangs gibt. Herr Fossa selbst sagt, dass diese dritte Art, Obertöne zu erzeugen, nicht nur sehr schwierig ist, sondern auch ein unbefriedigendes Ergebnis liefert" (Aguado 1825, § 363 übers.). In der zweiten, überarbeiteten Auflage seiner Escuela de Guitarra (1826) fügte er hinzu, dass mit dieser Technik Flageoletttöne nicht nur über dem fünften, sondern auch über dem vierten und dritten Bund erzeugt werden können. Er blieb jedoch bei seinem Urteil, dass die so erzeugten Töne "schwach und unangenehm" seien (Aguado 1826, § 363). In seiner Nuevo Método para Guitarra (1843) stellte er diese Flageolett-Technik nicht mehr vor.
Jean-Baptiste Mathieu war der "neuen Art und Weise", Flageoletts zu erzeugen, gegenüber aufgeschlossener als Aguado. In seiner Méthode de Guitarre (1825) erweiterte und verbesserte er die Methode: "Man drückt den Zeigefinger der linken Hand fest auf einen beliebigen Bund, und wenn man den kleinen Finger leicht auf dieselbe Saite legt, erhält man den vollkommenen Dur-Akkord in harmonischen Tönen, nämlich die Oktave auf dem sechsten Griff, die Dezime auf dem fünften Griff und die Duodezime auf dem vierten Griff der gedrückten Note. Die Saite muss mit dem Daumen in der Nähe des Stegs gezupft werden" (Mathieu 1825, S. 77 übers.).
Mathieu benutzte die neue Flageolett-Technik, um alle Töne der chromatischen Tonleiter abzudecken. Da nur die Oktavtöne, die mit Quartflageoletts erzeugt wurden, "sehr gut zu hören" waren, und dies auch nur auf "den drei umwickelten Saiten", spielte er die chromatische Tonleiter ausschließlich auf den Basssaiten: "Die untere, durchgestrichene Zahl gibt den Bund an, auf den der Zeigefinger gelegt werden soll. Der harmonische Ton in der Oktave wird immer mit dem kleinen Finger auf dem folgenden sechsten Griff erzeugt. Die TONLEITER beginnt mit dem fünften Bund. Die Bünde davor weisen einen zu großen Abstand auf" (ebd. S. 78 übers.).
Die dem Violinspiel entlehnte Flageolett-Technik hielt Sor nur für bedingt geeignet und wandte sie nur selten an: "Ich versuchte es, dasselbe Verfahren wie auf der Violine anzuwenden, indem ich die Note für den ersten Finger bestimmte, und mit dem kleinen Finger vier Griffe weiter machte, was ich mit einem andern auf dem vierten machte um die doppelte Oktave hervorzubringen. Dies Mittel gefiel mir etwas besser, aber es hatte doch den Übelstand, die Entfernung der beiden Finger verkürzen zu müssen, jemehr sich meine Hand dem Rumpf des Instruments näherte; und wenn es mir auch gelungen wäre, die Fertigkeit dieser fortschreitenden Verkürzung zu erlangen, so würde ich doch aller Sicherheit ermangelt haben, so oft sich die Melodie anders als in fortschreitenden Stufen bewegte" (Sor 1831, S. 49).
Auch Bathioli hielt die Flageolett-Technik für die linke Hand für wenig effektiv. Dennoch beschreibt er sie ausführlich in seiner Flageolett-Schule: "Die erste Methode besteht darin, dass man eine Saite mit dem Zeigfinger der linken Hand auf einen beliebigen Bund wie gewöhnlich fest niederdrückt, und nebst dem zugleich mit dem kleinen Finger derselben Hand die nämliche Saite auf einem der darauf folgenden, zur Bildung des Flageoletts geeigneten Punkte sehr leise berührt. Dieses Verfahren der linken Hand wird insbesondere eine Gabel genannt. Der Anschlag der Saiten mit den Fingern der rechten Hand geschieht wie bei dem natürlichen Flageolette" (Bathioli 1832, S. 9). Vier Arten von "Gabeln" waren nach Bathioli möglich. Mit dem kleinen Finger der linken Hand konnte man den fünften Bund, den vierten Bund, "etwas vor" oder "noch etwas mehr vor dem" vierten Bund berühren. Im Gegensatz zu Mathieu benutzte er den Gabelgriff "nur auf den erstern Bünden", da man nur dort "vernehmliche Flageolett-Töne" erhalte (ebd.).
Natürliche Flageoletts konnten ohne großen Aufwand zwei- oder dreistimmig gespielt werden (vgl. Sor 1831, S. 50). Anders verhielt es sich mit den Doppelflageoletts, die nur aus künstlichen Flageoletts bestanden. Sie waren technisch schwierig auszuführen und wurden ab den 1830er Jahren nur noch von wenigen Gitarrenvirtuosen verwendet. Zu ihrer Popularität trug entscheidend Niccolò Paganini bei, der sein Publikum mit ausgedehnten Flageolettpassagen faszinierte (vgl. Guhr 1829, S. 13).
Ein erster Versuch, natürliche und künstliche Flageoletts auf der Gitarre zu kombinieren, findet sich in Sors "Cinquième Fantaisie" (op. 16). Am Ende der vierten Variation musste der Spieler gleichzeitig ein künstliches und ein natürliches Flageolett spielen. Sor beschrieb diese Technik später in seiner Gitarrenschule: "In einer meiner Variationen über Paesiello's Thema: Nel cor più non mi sento, schliesse ich die beiden Sätze mit den zwei Sexten in harmonischen Klängen (79tes Beispiel); man sieht in dem letzten, dass ich den ersten Finger auf die fünfte Saite über dem dritten Griff ansetze, um das C genau zu bestimmen; der Griff wird zum Kamme [= Sattel] und wenn ich fünf Griffe weiter die doppelte Oktave der leeren Saite A hervorbringen sollte, so würde ich auf der Oktave, (welche zur Quinte wird) die doppelte Oktave von C hervorbringen; mit dem zweiten Finger bringe ich die doppelte Oktave von E auf dem fünften Griff mit der sechsten Saite hervor, und beide Noten fallen sehr deutlich aus; aber diese Variation geht auch langsamer als die andern" (Sor 1831, S. 50f.). Sor benutzte die Finger 1 (3. Bund der A-Saite) und 4 (8. Bund der A-Saite) der linken Hand für das künstliche Quartflageolett und den Finger 2 (5. Bund der E-Saite) für das natürliche Quartflageolett.
Bathioli ging noch einen Schritt weiter und kombinierte zwei künstliche Flageoletts: "Durch die gleichzeitige Ausübung der beiden Arten des Anschlags verbunden mit der Verwendung des Mittelfingers der r. H. auf dieselbe Weise, wie des rechten Zeigfingers, zeigt sich die Möglichkeit, auch künstliche Doppel-Flageolett-Töne vortragen zu können. Z. B. man greife, wie gewöhnlich die 2 Töne [= 2. Bund der D-Saite; 1. Bund der H-Saite] und berühre überdiess die 3te Saite D mit dem Zeigfinger der r. H. genau über dem 14. Bunde, und die 5te Saite B (sonst H genannt) mit dem Mittelfinger der r. H. genau über dem 13ten Bunde, so fort bemühe man sich, diese beiden Saiten dadurch zugleich in Bewegung zu setzen, dass der Daumen der r. H. die 3te Saite D; die 5te Saite B (sonst H) hingegen der kleine Finger der linken Hand gleichzeitig anspielt. So schwierig es ist, auf einmal 6 Finger zugleich, u. z. jedes der 3 Paar Finger auf eine besondere Art gleichzeitig zu beschäftigen; so ist es doch nicht unmöglich, auch in dieser Art etwas zu leisten" (Bathioli 1832, S. 10). Bathioli war sich bewusst, dass er Gitarrenamateure für diese Technik nicht gewinnen konnte. Deshalb wandte er sich gezielt an professionelle Gitarristen: "Indessen bleibt es nur dem unermüdeten Kunstfleisse, dem nach Vollendung strebenden Genie vorbehalten, in die Geheimnisse der Kunst ganz einzudringen" (ebd.).
Möglicherweise hat Bathioli Emilia Giuliani-Guglielmi dazu inspiriert, das Doppelflageolett in ihren Konzerten zu verwenden. Der Rezensent eines Konzerts, das Emilia Giuliani-Guglielmi Ende 1840 in Wien gab, schrieb jedoch die Erfindung des Doppelflageoletts der Tochter Giulianis zu: "Signora Emilia Giuliani-Guglielmi, Tochter und Schülerin des berühmten Mauro Giuliani, liess sich auf der Guitarre, und sogar mit den von ihr erfundenen Doppelflageolelttönen hören; ihre Mechanik verdient Beachtung, wäre sie nur einem dankbareren Gegenstande zugewendet" (AMZ 43/1841, Sp. 201f.).
Die Flageolett-Technik wurde im Laufe des frühen 19. Jahrhunderts erweitert und verfeinert. Dementsprechend entwickelte sich auch die Notation der Flageoletttöne ständig weiter. Eine einheitliche Flageolett-Notation gab es nicht. Noch im Jahr 1832 klagte Bathioli: "Die Bezeichnung des Flageoletts mit Noten hatte bisher eben so viele Mängel als die Kentniss des Guitare-Flageolets selbst" gab (Bathioli 1832, S. 10f.). Bathioli stellte in seiner Flageoletschule die drei gebräuchlichsten Notationsformen vor:
1. "Einige setzen die Töne des gewöhnlichen Anklangs der Saiten in Noten mit Beifügung des Wortes 'Flageolett oder Armonico' nebst Andeutung der Saiten, auf welchen dieselben mit dem Flageolettgriffe genommen werden sollen" (ebd. S. 11). Diese Notationsweise wurde u. a. von Phillis, Giuliani, Carulli und Carcassi verwendet (vgl. Phillis 1799, S. 21; Carulli 1819, S. 49; Carcassi 1836, S. 69). Sie gaben jedoch nicht nur, wie Bathioli, die zu spielenden Saiten, sondern auch die zu greifenden Bünde mit Zahlen an.
2. "Andere zeigen bloss die Saiten, auf welchen die Flageolett-Töne gespielt werden sollen, mit Noten, den Punkt des Flageolettgriffes hingegen mit Bezeichnung der Bünde durch Ziffern an" (ebd.). Diese Notationsform wurde von Sor bevorzugt (vgl. Sor 1831, 50; Sor Op. 29, Studio 21).
3. "Noch andere halten es für das beste, die Flageolett-Töne bloss mit Beisetzung des Wortes 'Flageoletto oder Armonici' in ihrer eigentlichen Höhe, in welcher sie klingen, in Noten zu setzen" (ebd.). Diesen Ansatz wählten Marescot und Aguado (vgl. Marescot 1825 II, S. 8; Aguado 1825, § 364; 1843, § 183), aber auch Sor in seinen Variationen über die Melodie "Oh Cara armonia" (op. 9). Um viele Hilfslinien zu vermeiden, wurden die Flageoletttöne in der Regel eine Oktave tiefer notiert (vgl. Aguado 1825, § 355; Pelzer 1835, S. 34).
Bathiolis Typologie der Notationsformen war allerdings unvollständig. So fehlte beispielsweise die um 1800 übliche Praxis, eine kleine Null über die Note zu setzen. Auch wurden Zwischenformen nicht berücksichtigt, wie z. B. die Kombination der zweiten und dritten Notationsform in Sors leçon progressive op. 60, Nr. 25.
Bathioli selbst bevorzugte die zweite Notationsform, da sich mit ihr "die Notirung aller Arten der Flageolett-Töne sich am einfachsten bewerkstelligen" ließ (Bathioli 1832, S. 11). Er nahm jedoch einige Verbesserungen an der Notation vor:
"a) Jene Stellen, welche mit Flageolett-Tönen vorgetragen werden, bezeichnet man mit dem darüber gesetzten Worte 'Armonici, oder Flageoletto'.
b) Dort, wo das Flageolett aufhört, wird das Wörtchen 'loco' gesetzt.
c) Die Töne der leeren oder wie gewöhnlich fest übergriffenen Saiten werden durch Noten angezeigt.
d) Die Flageolett-Punkte aber, welche mit den Bünden genau überein treffen, werden durch Ziffern glattweg bezeichnet, welche den Bund anzeigen.
e) Wenn ein Bund mehrmal nach einander vorkommt, so wiederhohlt man die Ziffern nicht, sondern man setzt, Kürze halber kleine Querstriche (...).
f) Bei Doppeltönen wird eine Ziffer über, die andere unter die Noten gesetzt.
g) In dem Falle, wenn die Bünde mit den Flageolett-Punkten nicht genau überein kommen, wird vor der Ziffer des Bundes das Zeichen > oder umgekehrt < gesetzet. Das erste > zeigt an, dass der Flageolettpunkt sich etwas vor dem Bunde befinde; das zweite < bedeutet, dass jener etwas nach demselben sey" (ebd. S. 11f.).
Einige der von Bathioli vorgeschlagenen Verbesserungen waren bereits in die Praxis umgesetzt worden. So zeigten Sor und Aguado mit Strichen an, dass ein Flageolettton nicht direkt über dem Bundstab, sondern etwas weiter in Richtung Steg oder in Richtung Sattel zu greifen sei (vgl. Sor, op. 60, Nr. 25; Aguado 1843, § 181). Und Bezeichnungen wie "Armonici" oder "Flageoletto" waren schon lange üblich. Neu hingegen waren die Punkte b) und e). Ungewöhnlich war auch die Idee, ein derart umfangreiches und detailliertes Notationssystem zu entwickeln. Die Vielzahl der Notationen trug nicht gerade zur Übersichtlichkeit des Notentextes bei. Es ist daher nicht verwunderlich, dass sich Bathiolis Notationskonzept nicht durchsetzte.
Die Zahl der Instrumente, die auf der Gitarre imitiert wurden, war zu Beginn des 19. Jahrhunderts überschaubar. Mit der Flageolett-Technik wurden die Flöte, das Glockenspiel und die Glasharmonika nachgeahmt, mit der Registertechnik die Harfe. In den 1820er Jahren wurde die Anzahl der zu imitierenden Instrumente erheblich erweitert. Aguado und Sor betrachteten die Gitarre nicht mehr nur als solistisches Melodie- und Harmonieinstrument, sondern als "Orchester in Miniatur", das auch die Klangfarbenpalette eines Orchesters zu Gehör bringen sollte (Aguado 1843, § 1 übers.). Die Idee, Orchesterinstrumente auf der Gitarre zu imitieren, entstand in Spanien. Schon Fernando Ferandiere stellte in seinem Lehrwerk Arte de Tocar la Guitarra Española por Música (1799) fest, "dass unsere Gitarre fähig ist, sich mit allen Instrumenten, die in einem Orchester aufgenommen werden, abzuwechseln" (S. 4 übers.). Einer der Vorzüge der sechschörigen Gitarre sei "die Möglichkeit, andere Instrumente zu imitieren, wie Flöten, Hörner, Fagotte &c." (S. 5 übers.).
Beispiele für die vielfältige Verwendung von Instrumentalimitationen finden sich in den Gitarrenschulen von
Jean-Baptiste Mathieu und Marziano Bruni. Mathieu imitierte in einem eigens zu diesem Zweck komponierten Marsch eine Klarinette, Hörner, ein Serpent
und eine Flöte jeweils im Wechsel mit Tutti-Passagen sowie eine Posaune (Mathieu 1825, S. 84f.). Bruni ahmte in seinem Grand March in the Turkish Style den Klang von Trompeten,
Oboen, der Trommel und kleiner Flöte sowie von Musikkapelle und
Kavallerie nach (Bruni 1834, S. 72).
Bereits um 1800 wurde die Harfe imitiert, oder besser gesagt, die Gitarre wurde wie eine Harfe gespielt. Der Harfeneffekt wurde dadurch erzielt, dass die Töne eines Akkordes nicht gleichzeitig,
sondern wie bei der Harfe einzeln nacheinander gespielt wurden. Die gebrochen gespielten Akkorde nannte man "Arpeggien". Dazu passt, dass die sechssaitige Gitarre um 1780 in Frankreich zunächst
als Lyragitarre konstruiert und gebaut wurde. Die fünfsaitige Gitarre wurde dann der Lyragitarre angepasst und um eine Saite erweitert. In der Ikonografie und Poesie wurde die Gitarre mit der
Lyra des Apollo verglichen. Dies hatte zur Folge, dass die Gitarre wie eine Lyra gespielt wurde. Man verwendete sie "höchstens zu kleinen Begleitungen des Gesanges vermittelst gebrochener Accorde
(Harpeggiaturen)" (Molino 1813, S. 5; ders. 1817, S. 14). Dementsprechend waren alle Gitarrenschulen, die um 1800 und
Anfang 1810 in Frankreich erschienen, für Gitarre und Lyra geschrieben (vgl. Aubert, Carulli, Doisy, Gatayes, Henry, Lemoine, Lintant, Molino, Phillis,
Plouvier).
Um 1806 setzte ein Umdenken ein. Simon Molitor klagte über "diese Tändeleien, dieses unaufhörliche Arpeggiren regelloser Accorde" und forderte für die Gitarre eine höhere Spiel- und Schreibart (Molitor 1806, S. 10). Mauro Giuliani widerlegte mit seiner Musik das "Vorurtheil, auf einem Instrumente, welches bloß zur Begleitung des Gesanges geeignet zu seyn scheint, nicht den Gesang selbst hervorbringen zu können" (Gräffer 1811, S. 6). "Er gebraucht nämlich die Guitarre nicht nur durchaus als obligates, sondern auch als ein Instrument, auf welchem zu einer angenehmen, fliessenden Melodie, eine vollstimmige, regelmässig fortgeführte Harmonie vorgetragen wird" (AMZ 10/1808, Sp. 428). Mit Giulianis Auftritt in Wien wurde die Gitarre, zumindest im deutschsprachigen Raum, nicht mehr nur als Begleit-, sondern auch als Konzertinstrument wahrgenommen. Eine ähnliche Wirkung erzielten Ferdinando Carulli 1808 in Paris und Fernando Sor 1815 in London.
Die Folge war, dass das Arpeggiospiel durch das begleitete Melodiespiel verdrängt wurde. Solostücke, die fast ausschließlich aus Arpeggien bestanden, verschwanden aus dem Gitarrenrepertoire. Ausnahmen bildeten Präludien und Etüden. Stattdessen setzte man Arpeggien gezielt in Stücken ein, um die Harfe zu imitieren. Um den Harfeneffekt zu verstärken, führte man die Akkordzerlegungen in der Nähe des Schalllochs aus: "Wenn man die Töne weicher machen und die Harfe imitieren will, muss man sie näher an die Rosette bringen" (Carulli 1819, S. 4 übers.; vgl. Henry 1826, S. 4; Meissonnier 1828, S. 7; Sor 1831, S. 14f.; Häuser 1833, S. 6; Hamilton 1834, S. 2; Kirkman 1842, S. 29).
D. Joly hat in seiner Gitarrenschule zwei Klangeffekte für die Harfenimitation vorgestellt. Der erste beruht auf der Dämpftechnik: "Wie bei der Harfe kann man die Akkorde mit der rechten Hand dämpfen. Dieser Effekt ist in keiner Methode beschrieben (soweit ich weiß) und ist sehr angenehm. Hier ist eine Anleitung, wie man ihn erzeugt. Zupfen Sie den Akkord und setzen Sie die Finger, mit denen sie ihn gezupft haben, gleich wieder ein. Wenn der Akkord 5 oder 6 Noten hat, dämpft man ihn mit der Hand, die man flach auf alle Saiten legt" (Joly 1820, S. 58 übers.).
Der zweite ist ein Pizzikato-Effekt: "Einen anderen, ziemlich pikanten Effekt erzeugt man, wenn man die Arpeggien [batteries] mit 2 Fingern am Steg zupft. Dieser Effekt wird nur in der Begleitung verwendet" (Joly 1820, S. 58 übers.).
Sor appellierte an die Spieler, die Harfe nur an den Stellen eines Stückes zu imitieren, die sich dafür eigneten, d. h. wo der Tonumfang der zu arpeggierenden Akkorde dem des imitierten Instruments entsprach: "Um endlich die Harfe nachzuahmen, ein der Guitarre verwandteres Instrument, richte ich den Accord so ein, dass er einen grössern Raum einnimmt, wie in dem dreizehnten Beispiel ...". In der vierten Variation von Sors Morceau de Concert op. 54 wird dieses Verfahren angewandt.
Er empfahl, die Saiten in der Nähe des Schalllochs anzuschlagen, um einen warmen, runden Klang zu erzeugen. Auch sollte die Anschlaghand etwas tiefer als gewöhnlich gehalten werden, um die Spieltechnik der Harfe zu imitieren: "... und schlage die Saiten mitten zwischen dem zwölften Griffe und dem Stege an, indem ich wohl Acht habe die Finger, welche sie anschlagen, etwas tiefer herabzusenken, damit die Reibung des Bogens DE (fig.: 18) schneller vor sich gehe und mehr Ton hervorbringe; ...".
Zur Erklärung: Beim Harfenspiel wurden die Finger zuerst auf die Saiten gelegt und dann in schneller Folge nacheinander angeschlagen, während sich die Finger beim Gitarrenspiel frei hin und her bewegten. Der Harfenanschlag setzte voraus, dass die zu spielenden Arpeggien auf- oder abwärts gerichtet waren:
"... vorausgesetzt freilich, dass die Stelle in der Art der Harfenmusik geschrieben sei, wie die des 14ten Beispiels" (Sor 1831, S. 18).
Aguado folgte dem Beispiel Sors und imitierte die Harfe nur in den Passagen mit weit ausholenden Arpeggien. In diesem besonderen Fall verzichtete er sogar darauf, die Saiten mit den Fingernägeln anzuschlagen: "Wenn die rechte Hand die Saiten über den letzten Bünden des Halses zupft und die Hand und damit das Handgelenk gewölbt sind, so sind die entstehenden Töne denen der Harfe ähnlich, weil die Saiten auf etwa einem Drittel ihrer Länge gezupft werden. Je mehr die linke Hand in diesem Fall die Akkorde in Richtung des Schalllochs bildet, desto mehr ähneln die Töne denen dieses Instruments, insbesondere, wenn sie mit den Fingerkuppen gezupft werden. Arpeggio-Akkorde sind für diesen Zweck am besten geeignet. Die Periode dieser Lektion ist der erste Teil einer Variation von Sor über ein Thema aus seinem Opus 54 mit dem Titel Morceau de concert" (Aguado 1843, § 205 übers.).
Sor und Aguado betrachteten die Gitarre nicht als solistisches Melodie- und Harmonieinstrument, sondern als ein Orchester en miniature. Dementsprechend versuchten sie, die vier Instrumentengruppen eines Orchesters - Streicher, Holzbläser, Blechbläser und Schlaginstrumente - in ihrer Musik wiederzugeben.
Sor ordnete die melodische Bewegung der einzelnen Akkordstimmen den Streichergruppen eines Orchesters zu. Er betrachtete „die Vielheit der Noten in einem aushallenden Accord nur als ein Mittel ..., die verschiedenen Stimmen einer Orchesterstelle zu vertreten, von denen jede ihre eigenen in kleine Brüche zerfallende Anstimmungen haben würde, wie im 24ten Beispiel“ (Sor 1831, S. 24).
"Ich bediene mich dieses Mittels auch um Passagen darzustellen, bei welchen die Singstimme auf Noten hinläuft, deren jede wenigstens einen Takttheil bezeichnet, während sie der Bass mit Noten gleichen oder mindern Werths begleitet; und die Mittelstimme die Brüche jedes Takttheils durch kleine Noten angiebt, welche die Harmonie zu vervollständigen dienen. In dem 25ten Beispiel findet sich nicht eine wesentliche Note, welche die Guitarre nicht widergäbe" (ebd. S. 24).
In ähnlicher Weise ordnete Aguado einzelne Gitarrensaiten den Streichergruppen zu: "Die unterschiedliche Dicke der Gitarrensaiten erlaubt es, ihre Töne so zu kombinieren, dass ein ähnlicher Effekt entsteht wie bei der Kombination von Violine, Viola und Bass oder Cello. Die erste, manchmal auch die zweite, kann den Sopran darstellen; diese, die dritte und sogar die vierte den Tenor, und die fünfte, besser noch die sechste, den Bass. Die folgende Periode gibt eine Vorstellung von dieser Kombination" (Aguado 1843, § 195 übers.).
Die Streicher bildeten das harmonische Fundament des Orchesters. Dementsprechend sollte sich das Gitarrenspiel am Spiel der Geigen, Bratschen, Celli und Kontrabässe orientieren: "Betrachtet man das Wesen der Gitarre, scheint es, dass die Musikgattung, die sie auszeichnet, diejenige ist, in der sie die Effekte des Orchesters, d. h. die Kühnheit der Violinen in den Läufen und flinken Passagen, die Schwere und Festigkeit der Bässe, und die exakte progressive Anstrengung des Tutti, ziemlich genau nachahmt, wenn auch in Miniatur" (Aguado 1849, S. 7 übers.).
In den Streicherklang mischten Sor und Aguado gezielt die Klangfarben anderer Instrumentengruppen: Holzbläser, Blechbläser oder Schlaginstrumente. Sor betonte, dass die Klangfarben bestimmter Instrumentengruppen nur dann verwendet werden durften, wenn die Passagen wie für diese Instrumente geschrieben wirkten.
Sor veranschaulichte dies am Beispiel der Hörner: "Die Nachahmung einiger andern Instrumente ist nie die ausschliessliche Wirkung der Beschaffenheit des Tons: die Stelle muss sich dazu eignen, wie es der Fall seyn würde in einer Partitur für die nachzuahmenden Instrumente. Zum Beispiel, die Hörner könnten wohl das sechste Beispiel (Taf: V) ausführen, da aber diese Melodie für die zweite Stimme nicht natürlich ist, welche die rechte Hand zur Hervorbringung des H gebrauchen müsste, so schreibt man sie nach dem siebenten Beispiel" (Sor 1831, S. 15).
"Dieser Satz ist schon in der Weise und so zu sagen in dem Dialekt der nachzuahmenden Instrumente und dies giebt der Phantasie der Hörer schon eine Richtung, und wenn die Beschaffenheit des Tons sich ihnen so viel wie möglich nähert, so steigere ich diese Täuschung so sehr, dass Alles hinzukommt, was zur Wirklichkeit noch fehlte" (ebd.).
Die Klangfarbe der Hörner eignete sich für Passagen mit Terz-, Quint- und Sextparallelen: "Man muss einen silbernen und klirrenden Ton vermeiden; zu dem Ende nehme ich keine Note mit der linken Hand auf der Saite, welcher sie zunächst zukommt, sondern auf der folgenden; so dass ich nie eine leere greife. In dem Satz des achten Beispiels gebrauche ich nie die Quinte; ich spiele E auf der zweiten, C auf der dritten usw: und greife sie ein wenig entfernter vom Stege als der sechste Theil der ganzen Länge der Saite" (ebd. S. 15f.).
Die Klangfarbe der Trompete dagegen harmonisierte mit den Tönen eines Akkorddreiklangs: "Die Trompete hat Sätze, die man selten einem andern Instrumente ertheilt: diese Sätze haben alle meist Intonirungen, wie sie das neunte Beispiel angiebt; ..." (Sor 1831, S. 16).
Trompetenklänge konnten auch in fanfarenartigen Passagen mit Triolen eingesetzt werden: "... so dass ich durch kurze Sätze in der Weise des zehnten Beispiels, indem ich die Quinte in der Nähe des Steges stark anschlage um ihr eine Art von Nasenton zu entlocken und den Finger der linken Hand, welcher die Note spielen soll, mitten zwischen den Griff, welcher sie bestimmt und den vorhergehenden setze, einen schnarrenden Ton von sehr kurzer Dauer erhalte, welcher den grellen Klang dieses Instruments ziemlich gut nachahmt: ..." (ebd.).
"... um ihn aber zu erhalten, muss ich wohl Acht haben, die Saite bei jeder Note, die ich greife, gehörig gegen den Hals zu drücken, aber sobald dies geschieht, muss ich mit dem Druck etwas nachlassen, damit der Griff B (fig.: 21) in dessen Nähe slch mein Finger in jedem andern Fall befinden müsste, eine grössere Länge der Saite in Schwingung gerathen Iasse; alsdann wird die Saite MC, indem sie gegen den Griff B schnarrt, durch den sie vorher den Ton hervorgebracht hat, einen anfangs grellen Ton von sich geben; aber dieses Grelle wird sofort aufhören, sobald die Stimmung festgestellt ist (wie es bei der Trompete geschieht) denn, da der Abstand des Griffs O B vom Stege viel länger ist als B C, so kann Letzterer die Schwingungen der Saite nicht ganz verhindern, welche vom Punkte B fortfahren werden" (ebd.).
Die Imitation der Oboe bot sich für Passagen mit Terzparallelen an, die abwechselnd legato und non-legato gespielt wurden: "Es würde unmöglich seyn, dem Hautbois eine Gesangstelle nachzuahmen; ich habe niemals versucht mehr zu wagen, als kleine Sätze in der Terz mit gebundenen und abgestossenen Noten Z. B.
Da das Hautbois einen vollkommenen Nasenton hat, so greife ich die Note nicht nur so nahe als möglich am Stege, sondern krümme meine Finger und gebrauche das Wenige, was ich von Nagel habe, um sie anzuschlagen: dies ist der einzige Fall, in welchem ich mich ohne Übelstand seiner bedienen zu dürfen glaubte" (Sor 1831, S. 16).
In seiner Escuela de Guitarra (1825) erklärt Aguado, wie man das Fagott oder Horn imitieren kann: "Wenn man mit Zeige- und Ring- oder Mittelfinger nur die Basstöne anschlägt, kann man einen zweistimmigen Gesang erzeugen, dessen Wirkung sehr angenehm ist und dem des Fagotts oder Horns ähnlich ist" (Aguado 1825, § 348 übers.).
In seiner Nuevo Método para Guitarra (1843) geht er auch auf die Imitation einer Trompete ein: "Wenn man, anstatt, wie wir es gelehrt haben, irgendeine Saite in der Nähe des vorderen Bundstäbchens zu greifen, sie in der Mitte des Bundes greift und dann zupft, so gehen die Schwingungen über das Bundstäbchen hinaus, und die Saite, weit davon entfernt, einen klaren Ton hervorzubringen, schnarrt, und wenn man den Finger noch weiter entfernt, schnarrt die Saite noch mehr und erzeugt einen Klang ähnlich dem der Trompete" (Aguado 1843, § 204 übers.).
Trommelschläge waren charakteristisch für rhythmische Tänze, aber auch für militärische Marschmusik. Salvador Castro verwendete sie in seiner Méthode de Guitare ou Lyre (1810) für einen Marsch: "Man imitiert die Trommel, indem man mit dem Daumen der rechten Hand auf die Saiten in der Nähe des Stegs schlägt" (S. 14 übers.). D. Joly imitierte daher den Klang der Trommel in militärischen Musikstücken: "Man kann die Trommel [caisse] mit der Gitarre imitieren. Dieser Effekt ist sehr angenehm und eignet sich für Märsche, Bacchanalien und Pas redoublés. Hier ist die Anleitung dazu. Schlagen Sie die 6 Saiten mit der Daumenseite so nah wie möglich am Steg an und ohne das Handgelenk zu versteifen. Da die auf den leeren Saiten angeschlagenen Akkorde viel mehr Wirkung haben, muss die Gitarre in der Tonart gestimmt sein, in der man spielt" (Joly 1820, S. 60 übers.; vgl. Bruni 1834, S. 71). Im angeführten Notenbeispiel wurden die Akkorde zunächst mit den Fingern "gezupft" (pincez) und dann mit dem Daumen "geschlagen" (frappez). Pierre Joseph Plouvier kannte eine alternative Spielweise, um das Tamburin nachzuahmen. Dabei wurden die drei mittleren Finger der Schlaghand zusammengelegt und alle sechs Saiten gleichzeitig nahe am Steg angeschlagen: "Die Hand muss so vorbereitet sein, dass der Zeigefinger beim Anschlagen der Saiten nicht über die Chanterelle hinausragt und der kleine Finger und der Daumen von den anderen Fingern abgespreizt sind. Man schlägt mit einer weichen Hand an, ohne Steifheit im Handgelenk und mit genügend Kraft, um alle Saiten zum Schwingen zu bringen" (Plouvier 1836, S. 60 übers.).
Aguado unterschied zwischen dem Klang einer Tanztrommel und dem einer Militärtrommel: "Die Trommel [tambora] besteht darin, die Saiten eines Akkordes in der Nähe des Stegs mit dem Mittelfinger der rechten, flachen Hand und besser noch mit dem Daumen anzuschlagen, wobei die Hand in diesem Fall eine schnelle halbe Drehung vollführt, damit er auf die Saiten fällt. Das Handgelenk darf nicht steif sein; im Gegenteil, es sollte mit großer Flexibilität gedreht werden, so dass das Gewicht der Hand selbst und nicht des Armes die Saiten zum Klingen bringt. (...) Einige erzeugen mit großer Ähnlichkeit den Effekt der Trommel [tamboron], die die Militärmusik begleitet. Dies geschieht, indem man mit gut ausgestreckten und sich abwechselnden Mittel- und Zeigefingern auf den Steg schlägt, während die linke Hand einen Akkord bildet" (Aguado 1843, § 203 übers.; vgl. ders. 1825, § 346).
Aguado kannte auch eine Methode, Glöckchen zu imitieren, ohne Flageoletttöne zu verwenden: "Es hat manchmal einen guten Effekt, eine offene Saite zu zupfen, deren Ton Teil eines Akkords ist, der in einem beträchtlichen Abstand vom Sattel erzeugt wird, obwohl derselbe [Ton] auch auf einer gegriffenen Saite erzeugt werden könnte. Einige haben diesen Tönen den Namen Glöckchen [campanelas] gegeben" (Aguado 1825, § 347 übers.; vgl. ders. 1843, § 199). Salvador Gil übernahm in der zweiten Auflage seines Lehrbuchs Principos de Música aplicados á la Guitarra (1827) die von Aguado beschriebenen Klangeffekte, die er "Verzierungen" (adornos) nannte: Glöckchen, natürliche Flageoletttöne, gedämpfte Töne und die Trommel. Er ergänzte die Palette der Effekte durch die graneados, bei denen die Töne eines geschlossenen Akkordes nicht, wie von Aguado gefordert, gleichzeitig, sondern schnell hintereinander auf- und abwärts gespielt werden (vgl. S. 18).