Während das Notenmaterial die materielle Grundlage der musikalischen Interpretation darstellt, bildet das Musikverständnis der jeweiligen Epoche die ideelle Basis. Im Zusammenhang mit der Entwicklung der Notation von Gitarrenmusik wurde deutlich, dass trotz ständiger Verbesserungen das Eigentliche der Musik nicht notiert werden konnte. Klassische Musik sollte geistreich und bewegend sein wie eine gute Rede, romantische Musik ausdrucksvoll und schön. Man konnte die notierte Musik nur dann richtig interpretieren, wenn man die Idee der Musik vorher verinnerlicht hatte.
Musikgeschichtlich stellt die erste Blütezeit der Gitarre eine Übergangszeit dar, in der die musikästhetischen Ideale der Wiener Klassik von denen der Romantik abgelöst wurden. Für den Dirigenten Nicolaus Harnoncourt markiert die Jahrhundertwende den Bruch zwischen altem und neuem Musikverständnis: "Die Musik vor 1800 spricht, die Musik danach malt. Die eine muß man verstehen, so wie alles, was gesprochen wird, Verständnis voraussetzt, die andere wirkt mittels Stimmungen, die man nicht zu verstehen braucht, die man erfühlen soll" (1982, S. 48). Das bedeutet nicht, dass sich die Musik um 1800 schlagartig veränderte und romantisch wurde. Vielmehr wurden in dieser Zeit Ideen geboren, die später zur Charakterisierung der Romantik herangezogen wurden1.
Vor 1800, in der Früh- und Hochklassik, orientierte sich die Instrumentalmusik an der Affektenlehre der antiken Rhetorik. Man glaubte, dass die Musik ebenso wie die Sprache ihren Ursprung in den Regungen des menschlichen Gemüts habe. Sie wurde als Gefühlssprache mit eigener Grammatik und Logik verstanden. In diesem Sinne definierte Johann Mattheson in seiner Abhandlung Der vollkommene Capellmeister (1739) die Musik als Klangrede: "Weil nun die Instrumental-Music nichtes anders ist, als eine Ton-Sprache oder Klang-Rede, so muß sie ihre eigentliche Absicht allemahl auf eine gewisse Gemüths-Bewegung richten" (S. 82). Komponieren, so Mattheson, sei wie das Verfassen einer Rede nach den Regeln der Rhetorik. Der Komponist müsse mit seinem Werk wie ein Redner an die Gefühle und Leidenschaften der Zuhörer appellieren: "Wird er aber auf eine edlere Art gerühret, und will auch andre mit der Harmonie rühren, so muß er wahrhafftig alle Neigungen des Herzens, durch blosse ausgesuchte Klänge und deren geschickte Zusammenfügung, ohne Worte dergestalt auszudrucken wissen, daß der Zuhörer daraus, als ob es eine wirckliche Rede wäre, den Trieb, den Sinn, die Meinung und den Nachdruck, mit allen dazu gehörigen Ein- und Abschnitten, völlig begreiffen und deutlich verstehen möge" (S. 208). Eine gute Rede gliedert sich nach Mattheson in sechs Teile: Eingang, Bericht, Antrag, Bekräftigung, Widerlegung und Schluss.
Johann Joachim Quantz entwickelte diesen Gedanken weiter. In seinem Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen (1752) betonte er, dass sich nicht nur der Schaffensprozess, sondern auch die musikalische Aufführung an der Redekunst orientieren müsse: "Die gute Wirkung einer Musik hängt fast eben so viel von den Ausführern, als von dem Componisten selbst ab" (S. 101). Ziel des Vortrags sei es, die Zuhörer emotional zu bewegen: "Der musikalische Vortrag kann mit dem Vortrage eines Redners verglichen werden. Ein Redner und ein Musikus haben sowohl in Ansehung der Ausarbeitung der vorzutragenden Sachen, als des Vortrages selbst, einerley Absicht zum Grunde, nämlich: sich der Herzen zu bemeistern, die Leidenschaften zu erregen oder zu stillen, und die Zuhörer bald in diesen, bald in jenen Affect zu versetzen" (S. 100). Ein guter Vortrag müsse rein und deutlich, rund und vollständig, leicht und fließend, abwechslungsreich und ausdrucksvoll sein und den Affektgehalt einer Komposition angemessen zum Ausdruck bringen. Quantz forderte daher vom Interpreten, die Strukturen einer Komposition - Tonarten, Intervalle, Dissonanzen, Tempi - auf ihre Affektwirkung hin zu untersuchen und sich dann selbst in die Haupt- und Nebenleidenschaften, die er auszudrücken habe, hineinzuversetzen. Wenn ihm dies gelinge, werde sein Vortrag die Herzen der Zuhörer berühren.
Wie Quantz betrachtete auch Johann Philipp Kirnberger die Musik unter wirkungsästhetischen Gesichtspunkten. Allerdings bezog er in seinem Artikel Musik in Sulzers Enzyklopädie Allgemeine Theorie der Schönen Künste (1774) die Perspektive des Rezipienten stärker mit ein. Kirnberger sah den Zweck der Musik darin, Empfindungen hervorzurufen. Das Mittel dazu sah er in der Verbindung der Töne zu melodischen Sätzen oder Phrasen, die der Natur der jeweiligen Empfindung entsprechen und für den Hörer verständlich sind: "Hier ist also die Frage zu beantworten, wie die Töne zu einer verständlichen Sprache der Empfindung werden, und wie eine Folge von Tönen zusammenzusezen sey, daß der, der sie höret, in Empfindung gesezt, eine Zeitlang darin unterhalten und durch sanften Zwang genöthiget werde, derselben nachzuhangen" (S. 783f.).
Johann Nikolaus Forkel ergänzte die musiktheoretischen Überlegungen zum Dreiecksverhältnis von Komponist, Musiker und Rezipient durch eine Darstellung der historischen Genese der Musik. In seinem Hauptwerk Allgemeine Geschichte der Musik (1788) beschreibt er die Entwicklung der Musik in drei historischen Phasen. In der ersten Phase bestand die Musik nur aus unverbundenen Tönen, Rhythmen und Geräuschen. In der zweiten Phase wurden die Töne analog zu Wörtern und ganzen Sätzen zu Tonreihen und Tonleitern geformt. So entstand die Musik als Kunst und Sprache der Empfindung. Die Fähigkeit zur Musik und zur Sprache unterschied den Menschen vom Tier. Während das Tier nur unzusammenhängende Empfindungslaute von sich geben konnte, vermochte der Mensch durch den Gebrauch seiner Vernunft diese Laute so zu verbinden, dass sie zu einem Mittel wurden, das eigene innere Empfinden zu beschreiben und anderen mitzuteilen. In der dritten Phase wurde die Harmonie erfunden. Es entstand eine große Vielfalt musikalischer Ausdrucksformen und eine umfassende musikalische Grammatik und Rhetorik. Erst jetzt wurde die Musik zur Klangrede im eigentlichen Sinne. Forkel resümierte: "Aus allem dem, was bisher gesagt worden ist, wird nunmehr der Leser leicht den Schluß machen können, daß man sich unter dem Worte Musik eine allgemeine Sprache der Empfindungen zu denken habe, deren Umfang eben so groß ist und seyn kann, als der Umfang einer ausgebildeten Ideen-Sprache. So wie nun in der Ideensprache Reichthum an Ausdrücken für alle möglichen Gedanken mit ihren Beziehungen, Richtigkeit und Ordnung in der Verbindung dieser Ausdrücke, und die Möglichkeit, die sämmtlichen Ausdrücke, nach allen den verschiedenen Zwecken und Absichten, die ein Redender damit verbinden kann, zu biegen und zu gebrauchen, Merkmale ihrer höchsten Vollkommenheit sind; so müssen auch in der Tonsprache 1) Reichthum an Combinationen der Töne, 2) Richtigkeit und Ordnung in den Verbindungen derselben, und 3) gewisser Endzweck, die drey Hauptmerkmale einer wahren, guten und ächten Musik seyn" (S. 19).
Auch in der Wiener Klassik orientierte man sich am Konzept der Klangrede. So sah Daniel Gottlob Türk das vornehmste Ziel des musikalischen Vortrags darin, das Herz des Zuhörers anzusprechen. In seiner Clavierschule (1789) heißt es: "Wer ein Tonstück so vorträgt, daß der darin liegende Affekt (Charakter sc.) auch bey jeder einzelnen Stelle auf das Genaueste ausgedruckt (fühlbar gemacht) wird, daß also die Töne gleichsam zur Sprache der Empfindung werden, von dem sagt man, er habe einen guten Vortrag" (S. 332). Dazu, so Türk, müsse der Musiker zunächst das Spiel und das Notenlesen beherrschen. Aber erst durch die Deutlichkeit der Ausführung, den Ausdruck des vorherrschenden Charakters und die angemessene Verwendung von Verzierungen werde der Vortrag zu Herzen gehen. Damit bezieht er sich auf die drei Kriterien, die in J. A. P. Schulz' Artikel Vortrag. (Musik.) in Sulzers Enzyklopädie Allgemeine Theorie der Schönen Künste (1774) aufgeführt sind. Ergänzend fügt er hinzu, dass der Musiker grundsätzlich in der Lage sein müsse, sich in jeden Affekt hineinzuversetzen. Den Aspekt der Deutlichkeit erläutert Türk am Beispiel der Gedichtdeklamation.
Um 1800 vollzog sich, zumindest in Mittel- und Norddeutschland, ein Paradigmenwechsel in der Kunst- und Musikästhetik. Die Musik löste sich von der Affektenlehre der antiken Rhetorik und verstand sich zunehmend als Ausdrucksform des individuellen Gefühlslebens. Zu den Begründern der romantischen Musikästhetik zählen Wilhelm Heinrich Wackenroder und Ludwig Tieck. In Wackenroders Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders (1797) werden die Vorbilder der Kunst nicht mehr in der griechisch-römischen Antike, sondern im christlichen Mittelalter und in der Renaissance gesucht. In den Bildern Albrecht Dürers erkannte Wackenroder das "ernsthafte, gerade und kräftige Wesen des deutschen Charakters" (S. 122). Dieser Charakter sei nach drei Jahrhunderten ebenso verloren gegangen sei wie die deutsche Kunst. Wackenroder sehnte sich nach einer Zeit zurück, in der "Deutschland eine eigene vaterländische Kunst zu haben sich rühmen konnte" (S. 130). Die Sehnsucht der Frühromantiker nach kultureller und nationaler Identität fand in der Franzosenzeit und den Befreiungskriegen ein starkes Echo. Denn Napoleons Kunst- und Kulturpolitik orientierte sich an der Antike. Im 1815 gegründeten Deutschen Bund löste die Ritter-, Burgen- und Minnesängerromantik die Griechensehnsucht ab. Über Madame de Staël gelangten die Ideen der Frühromantiker nach Frankreich und Italien2.
Doch Wackenroder ging es in seinen Herzensergießungen nicht nur um die Beschwörung einer verlorenen Vergangenheit und Identität. In der abschließenden Erzählung Das merkwürdige musikalische Leben des Tonkünstlers Joseph Berglinger propagierte er ein neues Musikverständnis, das den Weg zu einer neuen Innerlichkeit ebnen sollte. War die Musik als Klangrede den Gesetzen der Grammatik und der Rhetorik untergeordnet, so wird sie nun der Sprache übergeordnet, weil sie in subtilen Zwischentönen Stimmungen und Seelenzustände auszudrücken vermag, die mit den Mitteln der Sprache nicht zu fassen sind. Dem Protagonisten der Erzählung öffnet die Musik den Zugang zu einer höheren Welt: "Tausend schlafende Empfindungen in seinem Busen wurden losgerissen, und bewegten sich wunderbar durcheinander. Ja bey manchen Stellen der Musik endlich schien ein besonderer Lichtstrahl in seine Seele zu fallen" (S. 236).
Wackenroders Figur Joseph Berglinger sucht in der Musik die verborgenen Tiefen des Seelenlebens, deren Grund der Sprache unzugänglich ist. In einem musiktheoretischen Aufsatz in den Phantasien über die Kunst (1799) veranschaulicht er sein Verständnis der Tonkunst mit der Metapher des fließenden Stromes: "Keine menschliche Kunst vermag das Fließen eines mannigfaltigen Stroms, nach allen den tausend einzelnen, glatten und bergigten, stürzenden und schäumenden Wellen, mit Worten für's Auge hinzuzeichnen,- die Sprache kann die Veränderungen nur dürftig zählen und nennen, nicht die an einanderhängenden Verwandlungen der Tropfen uns sichtbar vorbilden. Und eben so ist es mit dem geheimnißvollen Strome in den Tiefen des menschlichen Gemüthes beschaffen. Die Sprache zählt und nennt und beschreibt seine Verwandlungen, in fremdem Stoff; - die Tonkunst strömt ihn uns selber vor" (S. 193f.). In der Sinfonie erkennt Berglinger das Ideal der Musik.
Es war die Einsicht in die Unzulänglichkeit der Wortsprache und in den Reichtum des individuellen Gefühlslebens, die Wackenroder zur Entwicklung einer neuen musikalischen Ästhetik führte. Das Gefühlsleben war für ihn nichts, was sich rational und sprachlich fassen ließe. Vielmehr war es für ihn etwas Unsagbares, Immaterielles, Atmosphärisches. Nur der unbegrifflichen Musik traute er zu, die vielschichtig nuancierten Gefühle und Stimmungen auszudrücken und zum Klingen zu bringen. Musik wird bei Wackenroder nicht mehr als die in Tönen erklingende Rede eines empfindenden Subjekts verstanden, sondern als atmosphärische Stimmung von Klängen und Harmonien, in die das Subjekt eintauchen und versinken kann.
Neben den beiden Werken Wackenroders gehört E. T. A. Hoffmanns Rezension der Fünften Symphonie Ludwig van Beethovens zu den Gründungsdokumenten der romantischen Musikästhetik. Sie erschien am 4. und 11. Juli 1810 in der Allgemeinen musikalischen Zeitung und wendet den Begriff des Romantischen explizit auf die neue Instrumentalmusik an. Inhaltlich knüpft sie an Wackenroders Unsagbarkeitstopos an und schreibt der Instrumentalmusik die Fähigkeit zu, das auszudrücken, was Worte nicht zu sagen vermögen: "Die Musik schliesst dem Menschen ein unbekanntes Reich auf; eine Welt, die nichts gemein hat mit der äussern Sinnenwelt, die ihn umgiebt, und in der er alle durch Begriffe bestimmbaren Gefühle zurücklässt, um sich dem Unaussprechlichen hinzugeben. Wie wenig erkannten die Instrumental-Componisten dies eigenthümliche Wesen der Musik, welche versuchten, jene bestimmbaren Empfindungen ... darzustellen, und so die der Plastik geradezu entgegengesetzte Kunst plastisch zu behandeln!" (AMZ 12/1810, Sp. 631).
Anders als Wackenroder äußerte sich Hoffmann nicht nur poetisch über die Musik, sondern nahm in Form der Rezension aktiv am ästhetischen Diskurs seiner Zeit teil. Als Hauptvertreter der neuen, romantischen Musik stellte er Joseph Haydn, Wolfgang Amadeus Mozart und Ludwig van Beethoven vor. Sie hätten die Instrumentalmusik zu neuen Höhen geführt und seien schon deshalb Romantiker. In Haydns Kompositionen, so Hoffmann, herrsche der Ausdruck eines kindlichen, heiteren Gemüts. Mozart führe in die Tiefen des Geisterreichs und Beethovens Instrumentalmusik eröffne das Reich des Ungeheuren und Unermesslichen: "Beethovens Musik bewegt die Hebel des Schauers, der Furcht, des Entsetzens, des Schmerzes, und erweckt jene unendliche Sehnsucht, die das Wesen der Romantik ist" (Sp. 633). Die Sehnsucht, die Hoffmann beim Hören von Beethovens Musik empfand, war kein Affekt im Sinne der antiken Rhetorik, sondern ein Weltgefühl, eine Stimmung, die das ganze Leben umfasste.
Der Paradigmenwechsel von der klassischen zur romantischen Musikästhetik führte zu einer veränderten Auffassung von musikalischer Interpretation. Galten um 1780 Deutlichkeit, Ausdruck und ornamentale Schönheit als die drei Hauptmerkmale eines guten Vortrags, so stand dieser nun ganz im Dienste des Ausdrucks. Schon August Eberhard Müller konzentrierte sich in seiner Klavier- und Fortepiano-Schule (1804) ganz auf den schönen, ausdrucksvollen Vortrag. "Schön" und "ausdrucksvoll" verwendete er in seiner Vortragslehre als Synonyme. Um ausdrucksvoll spielen zu können, so Müller, müsse sich der Spieler in die "Gemüthsstimmung" (S. 297) versetzen, in der der Komponist das jeweilige Stück geschrieben habe, und sein ganzes Spiel davon bestimmen lassen. Johann Nepomuk Hummel unterscheidet in seiner Anweisung zum Piano-Forte-Spiel (1828) begrifflich zwischen "schön" und "ausdrucksvoll". Der Spieler, so Hummel, müsse zwei Bedingungen erfüllen, um ein Musikstück schön spielen zu können. Zum einen müsse er "jeder möglichen Abstufung des Tonanschlags fähig sein", zum anderen müsse er den "Charakter des Tonstücks" studieren, "sonst erweckt er den Zuhörern unmögIich dasselbe Gefühl, welches der Komponist durch seine Tondichtung zu erregen strebte" (S. 418). Das ausdrucksvolle Spiel hingegen entstehe unmittelbar aus dem Gefühl. Es könne nicht gelehrt oder gelernt werden: "Ausdruck bezieht sich unmittelbar auf das Gefühl, und bezeichnet im Spieler die Fähigkeit und Fertigkeit, was der Komponist für das Gefühl in sein Werk gelegt hat, und der Spieler ihm nachempfindet, nun auch in sein Spiel und dem Zuhörer an's Herz zu legen, was auch nicht einmal angezeigt werden kann" (S. 417). Louis Spohr hingegen verwendet in seiner Violinschule (1832) die Begriffe "schön" und "ausdrucksvoll" synonym. Als Ausdrucksmittel des schönen Vortrags nennt er: das fein nuancierte Spiel, das Glissando, das Vibrato und das Rubato (vgl. S. 195f.).
Der Paradigmenwechsel hin zur romantischen Gefühlsästhetik hatte einen rasanten Aufschwung des Virtuosentums zur Folge. Dies schien so gar nicht zum romantischen Ideal von Schönheit und Ausdruck zu passen. Denn Virtuosität bedeutete ein Höchstmaß an mechanischer Präzision der Finger und Hände. Sie konnte wie das Notenlesen für einen richtigen Vortrag vorausgesetzt werden. Einem schönen Vortrag schien sie aber eher im Wege zu stehen. Dieses Missverständnis klärt sich jedoch, wenn man weiß, dass in der Romantik Ausdruck und Virtuosität keine Gegensätze waren. Die Romantik stellte die Virtuosität in den Dienst der Expressivität. Mehr noch, sie erhob die Virtuosität zur notwendigen Voraussetzung eines bis zur äußersten Intensität gesteigerten Ausdrucks. So heißt es im dritten Teil von Carl Czernys Pianoforte-Schule (1839): "Schwierigkeiten sind nicht der Zweck der Kunst, sondern nur ein Mittel: aber ein nothwendiges Mittel. Denn sie bringen, wohlerfunden, und gehörig vorgetragen, Wirkungen hervor, die man durch leichte, bequeme und einfache Notenzusammenstellungen auf keine Weise erreichen könnte" (III, S. 52).
In der Romantik stand die Fähigkeit des Künstlers, seine innere Gefühlswelt intensiv und virtuos auszudrücken, im Mittelpunkt des Konzertlebens. Vor allem ein Virtuose begeisterte die Massen: Nicolò Paganini. Carl Guhr schrieb in Ueber Paganini's Kunst die Violine zu spielen (1829): "In den Tönen seiner Melodieen ist sein Leben rege und wach, finden wir stets sein Ich, seine Individualität. Die Trauer, die er empfunden, das Sehnen, das sein Wesen durchzieht, die Freude, die sein Herz durchzuckt, die Leidenschaft, die seinen Puls rascher jagt, sie alle fliessen in seinen Vortrag über; und wenn uns der Dichter in seinen Gebilden die idealisirte Aussenwelt vor die Sinne führt, so ist Paganini der Künstler, welcher die Welt um sich vergisst und sein eigenes Leben, wie es von Leiden durchfurcht, von Freude geglättet wurde, in Tönen wiedergebiert. Wer sein Spiel kennt, kennt auch ihn genau. Es ist im höchsten Grade subjectiv-lyrisch und stets ein Abbild des Künstlers selbst" (S. 60).
Der Paradigmenwechsel von der Klangrede zur Stimmungsmalerei ist ideengeschichtlich leicht zu umreißen. Weitaus schwieriger ist es, klassische und romantische Werke in der Zeit von etwa 1780 bis 1830 klar voneinander abzugrenzen. Die romantische Stimmungsmalerei entwickelte sich bruchlos aus der Klangsprache der Klassik. Bereits im Spätwerk Mozarts sind romantische Züge erkennbar. Inspiriert von den Ideen der Frühromantiker gewann nach 1800 die lyrische Tonsprache an Bedeutung. Doch erst mit dem Ende des napoleonischen Kaiserreichs trat die klassische Formensprache in den Hintergrund und das Romantische in der Musik in den Vordergrund. Eine neue Generation von Komponisten trat auf den Plan: Johann Nepomuk Hummel, Louis Spohr, Carl Maria von Weber, Franz Schubert, aber auch Gioachino Rossini und John Field. Kann man die Zeit von 1780 bis 1815 als Epoche der Wiener Klassik bezeichnen, so bietet sich für die Zeit von 1815 bis zu Beethovens Tod 1827 der Begriff der klassisch-frühromantischen Epoche an. Erst nach Beethovens Tod beginnt die eigentliche Romantik.
Franz Schubert gilt heute als der bedeutendste Vertreter der Frühromantik. In der Epoche selbst standen jedoch andere Komponisten im Vordergrund. Der Wiener Musikhistoriker Raphael Georg Kiesewetter beschreibt in seiner Geschichte der europäisch-abendländischen oder unsrer heutigen Musik (1834) die Zeit, in der er lebte, als die Epoche Beethovens und Rossinis. Über Franz Schubert verliert er kein Wort. Nach dem Ende der Napoleonischen Kriege war das Bedürfnis nach Unterhaltung groß. Nicht Schuberts lyrische Klavierstücke und Lieder, sondern Rossinis effektvolle Belcanto-Opern begeisterten das Wiener Publikum, das in den 1820er Jahren in ein regelrechtes Rossini-Fieber verfiel. Kiesewetter betrachtete diese Entwicklung mit Skepsis. Durch Haydn und Mozart sei bereits "die Tonkunst in allen Fächern zur höchsten Vollkommenheit gediehen" (S. 96). Nun gelte es für die zeitgenössischen Komponisten, die Klassiker um jeden Preis zu übertreffen. Ihre Virtuosität habe "einen Grad erreicht ..., der die Möglichkeit einer weiteren Steigerung kaum noch denken lässt" (S. 97). Kiesewetter sah die Gefahr, dass die Musik zu einer kurzatmigen Effekthascherei degeneriere, deren emotionale Wirkung sich schnell abnutze: "... man überbot die Vorgänger und überbot sich selbst in dem Ringen nach Effecten; ein gefährlicher Luxus schlich sich ein; (...) ein übermässiger Gebrauch der Kunstmittel verwöhnt sehr bald die Zeitgenossen; ihre Wirkung ist nicht bei jeder wiederholten Erscheinung mehr dieselbe" (S. 98). Man könnte meinen, dass sich dieses Urteil auch auf den Teufelsgeiger Niccolò Paganini bezog, der 1828 das Wiener Publikum hypnotisch in seinen Bann zog. Die klassisch-romantische Epoche war keineswegs so introvertiert, stimmungsvoll und poetisch, wie es sich die Frühromantiker erträumt hatten.
Erst nach Beethovens Tod setzte sich die eigentliche Romantik im allgemeinen Konzertleben durch. Die Musik löste sich von der klassischen Formensprache und wandelte sich zu einer lyrischen, nach innen gerichteten Stimmungspoesie. Es begann die große Zeit der Charakterstücke. Die bedeutendsten Vertreter dieser Epoche waren Robert Schumann und Frédéric Chopin.
Auch in der Gitarrenmusik des frühen 19. Jahrhunderts lässt sich der Paradigmenwechsel von der Klangrede zur Stimmungsmalerei beobachten. Wie in der allgemeinen Musikentwicklung lassen sich drei Phasen unterscheiden: eine klassische, eine klassisch-frühromantische und eine romantische Phase.
Sieht man von der Geschichte der fünfchörigen und fünfsaitigen Gitarre ab, so begann die klassische Phase der Gitarrenmusik um 1785 mit der Erfindung der sechssaitigen Gitarre und endete um 1817, als die ersten Bearbeitungen von Rossinis Opern für Gitarre erschienen. Sichtbarster Ausdruck des klassischen Musikparadigmas war die Verklärung der Gitarre als Nachfahrin der antiken Lyra. So findet sich bereits auf dem Titelblatt von Antoine Lemoines Nouvelle Méthode de Guitarre (1799) die Abbildung einer fünfsaitigen Gitarre und einer sechssaitigen Lyra, wobei die mit einem Siegeskranz geschmückte Lyra hoch über der Gitarre thront. Auf dem Titelblatt von François Doisys Principes Généraux de la Guitare (1801) werden die beiden Instrumente als gleichwertig dargestellt. Das Motiv wurde in vereinfachter Form, aber mit der Abbildung einer sechssaitigen Gitarre, vom Autor der in Leipzig erschienenen Guitarre-Schule (1802) übernommen. Die Titelblätter der Sonate op. 7 von Simon Molitor und der Gitarrenschulen von Johann Traugott Lehmann, Anton Gräffer, Mauro Giuliani und Francesco Molino zeigen Lyra spielende Engel oder Musen.
Aussagen zum Musikverständnis der Zeit finden sich nur in wenigen Gitarrenschulen. François Doisy widmete der Musik in seinen Principes Généraux de la Guitare (1801) einen kleinen Abschnitt, dessen Inhalt er dem Artikel Musique in Jean-Jacques Rousseaus Dictionnaire de Musique (1768) entnahm: "Musik ist die Kunst, Töne auf eine für das Ohr angenehme Weise zu kombinieren" (S. 7 übers.). Diese noch vom Rationalismus der Aufklärung geprägte Definition von Musik wird ergänzt durch die Schilderung antiker Ursprungsmythen, die jedoch für die Frage nach dem Ursprung der Musik als irrelevant angesehen werden. Mit Rousseau sucht Doisy den Ursprung der Musik in der Sprache und findet ihn in der Nachahmung des Vogelgesangs. Die Tatsache, dass Doisy der Vokalmusik den Vorrang vor der Instrumentalmusik einräumte und den Nachahmungscharakter der Musik betonte, zeigt, dass er noch ganz dem barocken Musikverständnis verhaftet war.
Eine vertiefte Auseinandersetzung mit Musik findet sich in einigen deutschen Gitarrenschulen. Hier wird bereits die Gleichwertigkeit der Instrumentalmusik mit der Vokalmusik vorausgesetzt. So bezieht sich Simon Molitor im programmatischen Vorwort zu seiner Große[n] Sonate für die Guitare allein (1806) explizit auf Forkels Allgemeine Geschichte der Musik und orientiert sich in seinen Ausführungen zu Notation, Komposition und Vortrag am klassischen Paradigma der Klangrede. Forkel hatte in seinem Geschichtswerk die Bedeutung der Notation für die Entwicklung der Musik hervorgehoben, da Sprache und Schrift, Musik und Notation in einem natürlichen und notwendigen Verhältnis zueinander stünden. Die Notenschrift enthalte "die sichtbaren Zeichen von blos hörbaren, mit einander verbundenen Tönen" (1788, S. 31). Aus diesem Grund entwickelte Molitor eine fortgeschrittene Gitarrennotation, die den Inhalt, den Aufbau und die Struktur eines Werkes sichtbar und damit verständlich machte. Wer die emotionale Sprache eines Musikstückes verstand, konnte es, wie Molitor es ausdrückte, mit Herz und Kopf spielen. Johann Traugott Lehmanns Ausführungen zum Gitarrenspiel orientierten sich dagegen an Sulzers Theorie der schönen Künste (1774). In seiner Neue[n] Guitarre-Schule (1806) unterscheidet Lehmann drei Hauptmerkmale des musikalischen Vortrags: Deutlichkeit, Ausdruck und Schönheit. Die antike Rhetorik ist dabei der entscheidende Bezugspunkt und die gesprochene Rede das Vorbild für den musikalischen Vortrag.
Die Gitarrenmusik um 1800 folgt der klassischen Formensprache und bedient sich der für die Klassik typischen musikalischen Gattungen. François Doisy stellte sie in seiner Gitarrenschule vor. Als Begleitinstrument konnte die Gitarre für Arietten, Romanzen und Lieder verwendet werden, als Solo- und Konzertinstrument für Sonaten, Duette, Trios, Quartette und Quintette, Konzerte, Variationen und Potpourris. Für die vielen Dilettanten, die sich auf dem Modeinstrument Gitarre versuchen wollten, wurden meist einfache Liedbearbeitungen und leicht spielbare Stücke arrangiert. Simon Molitor nahm dies zum Anlass, ein Gitarrenwerk nach allen Regeln der Kunst zu komponieren, um dem Instrument zu mehr Ansehen in der Musikwelt zu verhelfen. Nicht zufällig wählte er dafür die wichtigste Gattung der Instrumentalmusik in der Wiener Klassik: die Sonate. Molitors Große Sonate für die Guitare allein op. 7 ist klassisch aufgebaut: Auf eine kurze Einleitung folgen ein erster Satz in Sonatenform, ein langsamer Satz, ein Menuett und ein Finale in Rondoform. Molitor nahm für sich in Anspruch, als Erster eine Komposition von solcher Qualität für die Gitarre vorgelegt zu haben, und es fällt schwer, ihm zu widersprechen. Zwar hatte Antoine de Lhoyer um 1804 in Hamburg eine Grande Sonate op. 12 für die fünfsaitige Gitarre veröffentlicht. In diesem zweisätzigen Werk werden die für die Sonate geltenden Gattungsregeln jedoch nicht so konsequent umgesetzt wie bei Molitor.
Simon Molitors Sonate op. 7 markiert einen neuen Abschnitt in der Entwicklung der Gitarrenmusik in Deutschland und Österreich. Sie beeinflusste unter anderem Johann Jakob Staehlin und Anton Gräffer. Noch wichtiger war jedoch die Ankunft von Mauro Giuliani in Wien und Ferdinando Carulli in Paris. Ihre zahlreichen Kompositionen prägten das klassische Gitarrenrepertoire entscheidend.
Mit dem Ende des napoleonischen Kaiserreichs verblassten die ästhetischen Ideale der antiken Klassik. Die romantischen Ideale der jungen Generation traten in den Vordergrund, ohne jedoch die klassischen Ideale zu verdrängen. Die Lyra als Symbol der Musik wurde von den Romantikern neu interpretiert. Nach E. T. A. Hoffmann eröffnete sie dem Hörer das "wundervolle Reich des Unendlichen" (AMZ 12/1810, Sp. 633). Nach 1815 wurde sie jedoch in Deutschland und Frankreich von der Laute als Symbol des mittelalterlichen Minnesangs abgelöst. Entsprechend wurde die Gitarre als Nachfahrin der Laute verklärt3. Zwei Illustrationen aus den Gitarrenschulen von Francesco Molino und Charles de Marescot, die 1823 und 1825 in Paris erschienen, verdeutlichen das Nebeneinander von klassischem und romantischem Paradigma in dieser Phase. Das eine Bild zeigt den idyllischen Garten der klassischen Musen, das andere die romantische Welt der Troubadoure.
Das romantische Musikverständnis, die Hinwendung zum Empfindsamen und Lyrischen, schlug sich schon früh in den Gitarrenschulen von Anton Gräffer und August Harder nieder. Beide Gitarristen orientierten sich aber auch am klassischen Musikideal, so dass ihre Schulen eine für die Frühromantik typische Mischung aus klassischem und romantischem Gedankengut enthalten. Gräffer bezeichnete die Musik im ersten Satz seiner Guitarre Schule (1811) als "freundliche Schwester der Dichtkunst" und folgte damit wie Simon Molitor dem Paradigma der Klangrede. Im Unterschied zu diesem betonte er jedoch mehr das Gefühl als den Verstand. Ziel der Musik sei es, so Gräffer, das Herz anzusprechen. Der Tonkünstler müsse aus sich selbst schöpfen und die Sprache seines Empfindens immer wieder neu formen, nur dann könne er ausdrücken, was mit Worten nicht zu beschreiben sei. Nur die Musik sei in der Lage, alles Dunkle und Verworrene der Empfindung auszudrücken, zu entwirren und zu klären. Dies gelte auch für die Gitarrenmusik, die sich wegen der Zartheit ihrer Töne weitgehend auf das lyrische Spiel beschränken müsse. In seinem Fragment Ueber Tonkunst, Sprache, Schrift (1830) stellte der Wiener Gitarrist weitere Überlegungen zur Musik als Empfindungssprache an.
Auch in Harders Guitarre-Schule (1813) findet sich eine Mischung aus klassischem und romantischem Musikverständnis. Einerseits betonte Harder, dass die Musik Geist und Herz gleichermaßen befriedigen müsse. Andererseits forderte er, dass ein guter musikalischer Vortrag nicht nur richtig, sondern vor allem ausdrucksvoll und schön sein müsse. Für einen ausdrucksvollen Vortrag sei der Gesang mit Gitarrenbegleitung besonders geeignet. Die eigentliche Bestimmung der Gitarre sah er daher in der Gesangsbegleitung. Für größere Solostücke und Sonaten, wie sie Simon Molitor forderte, sei die Gitarre nicht geeignet. Als wichtigste Gattungen der Gitarrenmusik nannte Harder die Romanze, die Ballade, das schlichte, gefühlvolle Lied und die Canzonette. Harders Auffassung wurde in Deutschland weitgehend geteilt. Bedeutende Vertreter der Frühromantik wie Carl Maria von Weber und Louis Spohr komponierten Lieder für Singstimme und Gitarre, aber keine Solowerke für das Instrument, und ein versierter Gitarrist wie Carl Blum schrieb, um der Nachfrage gerecht zu werden, mehr Lieder als Instrumentalstücke für Gitarre.
Am Werk Carl Blums lässt sich die Entwicklung der klassisch-frühromantischen Gitarrenmusik gut nachvollziehen. Umfasste sein kompositorisches Schaffen zunächst nur die klassischen Gattungen wie Variation, Sonatine, Romanze, Potpourri, Divertissement, Serenade, Rondoletto, so kamen später auch romantische Gattungen wie Capriccio, Nocturne, Walzer und Polonaise hinzu. Eine ähnliche Entwicklung ist bei Fernando Sor zu beobachten. Anfangs schrieb Sor vor allem Divertissements, Variationen, Sonaten und Fantasien, später auch Walzer, Gesellschaftsstücke und Bagatellen und schließlich Charakterstücke wie Souvenirs d'une Soirée à Berlin op. 56 oder die tieftraurige Fantaisie Elégiaque op. 59.
War das Musikleben in Europa zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch auf die Mitwirkung von Laienmusikern angewiesen, so professionalisierte es sich in der Frühromantik zunehmend. Für die Gitarrenmusik brachte diese Entwicklung tiefgreifende Veränderungen mit sich. Nur noch die besten Gitarrenvirtuosen konnten sich auf dem Konzertpodium behaupten. Im Allgemeinen aber wurde die Gitarre als Konzertinstrument nicht ernst genommen und meist nur in kleinen Zirkeln gespielt. Einen Vorteil schätzte man jedoch an der Gitarre. Mit dem Instrument konnte man sich das Konzert-, Opern- und Ballleben in die eigenen vier Wände holen. Aufgrund der großen Nachfrage wurde der Musikmarkt mit Opernarrangements und Gesellschaftstänzen für Gitarre überschwemmt. Italienische Gitarristen komponierten vor allem Potpourris oder Variationen über Themen aus Rossinis Opern. Fließende Melodielinien, effektvolle Tempo- und Dynamikwechsel sowie ausdrucksstarke Verzierungen sind typisch für die Opernbearbeitungen im Belcanto-Stil. Für die in Paris ansässigen Gitarristen waren Aubers Opern die erste Wahl. Auch Carl Maria von Webers Freischütz inspirierte viele Gitarristen zu Bearbeitungen. Daneben entstanden Werke, die durch ihre technische Virtuosität beeindruckten. So wurden Luigi Legnanis 36 Capricen op. 20 höchstwahrscheinlich von Paganinis 24 Capricci op. 1 inspiriert. Legnanis Kompositionen forderten das ganze Können des Spielers und setzten spieltechnisch neue Maßstäbe: hohes Spieltempo, schwierige Akkorde, große Intervallsprünge und volle Ausnutzung des Tonumfangs. Nur wenige Gitarrenvirtuosen der Zeit konnten auf diesem Niveau mithalten, darunter Franz de Paula Stoll, Trinidad Huerta und Marco Aurelio Zani de Ferranti.
Erst in den 1840er Jahren begann die Gitarrenmusik wirklich romantisch zu werden. In den Gitarrenschulen dieser Zeit sucht man jedoch vergeblich nach tiefer gehenden Aussagen zur romantischen Musik. Eine Ausnahme bildet Dionisio Aguados Schule Nuevo Método para Guitarra (1843), die allerdings nur Gedanken wiederholt, die bereits in der Escuela de Guitarra (1825) formuliert worden waren. Aguado teilte die Ansicht der Romantiker, dass die Musik eine dunkle, unartikulierte Sprache sei und ihre Regeln im Herzen lägen. Gleichzeitig hielt er am klassischen Konzept der Klangrede fest. Seine Äußerungen zur Musik gehören daher inhaltlich in die klassisch-romantische Übergangsphase: "In der Vokalmusik gibt der Text selbst gewöhnlich den Akzent an, der ihm entspricht, in der Instrumentalmusik ist dies jedoch nicht der Fall. Diese ist zwar eine Nachahmung jener, hat aber eine unartikulierte Sprache, die daher dunkler ist. Aus diesem Grunde ist der Komponist, nachdem er die musikalischen Phrasen und Perioden so angeordnet hat, wie er es für richtig hält, in der Instrumentalmusik mehr als in der Vokalmusik gezwungen, gewisse Hauptpunkte hervorzuheben (...). Dem Ausführenden bleibt, ohne sich von den für ihn bestimmten Hauptpunkten zu trennen, immer noch ein sehr weites Feld, auf dem er sein Genie zum Ausdruck bringen kann, indem er in den Tönen ein fortwährendes Hell-Dunkel herrschen lässt, ähnlich den Akzenten der ausdrucksvollen Sprache, deren Regeln im Herzen liegen und nirgendwo anders zu finden sind" (II, S. 101 übers.).
Eine neue Generation von Gitarristen trat auf den Plan, darunter Johann Kaspar Mertz, Napoléon Coste und Giulio Regondi. Durch zusätzliche Basssaiten versuchten sie, die Klangfülle des Instruments zu erhöhen und es für die Aufführung romantischer Kompositionen, die reich an Chromatik und neuen Harmonien waren, tauglich zu machen. Klassische Gattungen waren nur noch selten im Repertoire zu finden. In den Opernarrangements ersetzte die Fantasie die Variation. Neben Tänzen wie Polonaise und Mazurka dominierten lyrische Charakterstücke wie Nocturnes, Fantasien und Lieder ohne Worte. Charakteristisch ist Mertz' Spätwerk Barden-Klänge op. 13, eine Sammlung von 25 Charakterstücken, die Bezüge zur Musik von Robert Schumann, Felix Mendelssohn-Bartholdy und Frédéric Chopin aufweisen. Die Sammlung enthält Stimmungsstücke wie Unruhe, Gebeth und Sehnsucht, musikalische Impressionen wie Gondoliera, märchenhafte Tondichtungen wie Elfenreigen, Fingals-Höhle und Kindermärchen sowie musikalische Liebeslyrik. Die Gitarrenmusik wird hier zur Stimmungsmalerei. Auch Napoléon Coste malte musikalische Stimmungsbilder, beschrieb aber weniger innere Seelenzustände wie Mertz, sondern eher äußerlich wahrnehmbare dynamische Vorgänge im Stil romantischer Programmmusik. Beispiele dafür sind die Trilogie Le Passage des Alpes op. 27, 28 und 40 oder das große Solo La Chasse des Sylphes op. 29.
1 Die Musikwissenschaftlerin Christiane Wiesenfeldt zeigt in ihrem Buch Die Anfänge der Romantik in der Musik (2022), dass sich das Romantische in der Musik bereits in den 1780er Jahren anbahnte und um 1800 das Sprechen und Denken über Musik grundlegend veränderte.
2 Madame de Staëls Hauptwerk De l’Allemagne wurde 1810 in Paris gedruckt. Die erste Ausgabe wurde jedoch noch vor ihrem Erscheinen auf Befehl Napoleons eingestampft. Sie erschien 1813 in London und 1814 in Berlin. Die Franzosen, so ihr Fazit, sollten von den deutschen Romantikern lernen, die sich vom Paradigma der klassischen Antike gelöst hätten und daher in der Lage seien, echte emotionale Tiefe auszudrücken. Im Januar 1816 wurde ihr Essay Sulla maniera e la utilità delle Traduzioni von Pietro Giordani in der ersten Ausgabe der Mailänder Literaturzeitschrift Biblioteca Italiana veröffentlicht. Darin forderte sie die Italiener auf, sich von der klassischen Tradition zu lösen und sich von den modernen englischen und deutschen Autoren inspirieren zu lassen.
3 Carl Theodor Seiffert, königlicher Musikdirektor in Naumburg, bestätigte dies in seinem Aufsatz Die Lieder, Gesänge und Balladen des neunzehnten Jahrhunderts, der am 6. September 1843 in der Allgemeinen musikalischen Zeitung erschien: "Nach den Befreiungskriegen bürgerte sich für einige Zeit die Guitarre ein, welche bei der Leichtigkeit, mit der sie zu erlernen, viel Anhänger fand - wohin man sah, gab es Minnesänger" (AMZ 45/1843, Sp. 644).
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V: 17.03.2022
LA: 19.10.2024
Autor: Dirk Spönemann